Die Frage aller Fragen: Settingbände lesenswert gestalten?

Damals waren 248 Seiten Setting noch viel.

Es gab mal eine Zeit, in der habe ich mit größter Lust Werke wie „Das Land des Schwarzen Auges“ gelesen.

Das war gelogen.

Gut, damals habe ich ALLES gelesen. Papas SciFi-Romane. Omas Krimis. Sachbücher. Egal was. Und diese Box. Wenn ich ganz fair erinnere… diese Box war schon damals kein echter Genuss. Aber da wir damals DSA spielten (und ich zumeist geleitet habe), war das schon irgendwie interessant. Aber ich habe keine positive Erinnerung daran, wie ich mit träumerischen Blick über dem Text saß und mir Abenteuer ausdachte.

Würde ich mir das heute noch antun, einen solchen Settingband (auch noch am Stück von Vorne bis Hinten) zu lesen? Die Antwort ist: Nein. Sicher nicht.

Mich an ein neues Setting heranzuführen ist deshalb verflixt schwierig. Ich versuche zu analysieren, warum das so ist, und wie man mich „kriegt“.

Was hat nicht funktioniert?

Ich habe ausprobiert:

All das bin ich mit maximalem Interesse angegangen. Warum Fate mich potenziell reizt, muss ich hier wohl nicht erwähnen, schließlich ist das hier ein offizielles „Ich spiel’s lieber mit Fate“-Lobhudelblog. Splittermond war damals neu und shiny, und ich bin mit einigen Machern befreundet. Tharun hatte für mich den Reiz des exotischen: Zum einen war es etwas, was Hadmar damals in DSA eingebracht hatte, eine spannende Richtung für DSA, die sich nicht durchsetzte… aber jetzt neu aufleben sollte. Alles Welten, die ich mögen wollte.

Gelungen ist mir das nicht. Der Splittermond-Weltenband war in der Lektüre so trocken wie der Diercke Atlas aus meinen Schulzeiten, der noch die UdSSR und die DDR zeigte, die es schon etwas länger nicht mehr gab. Und dessen Niederschlagsübersicht über das Amazonasbecken jetzt nicht gerade meine Sehnsucht nach fremden Ländern befeuerte.

Dabei bieten die Bücher eigentlich mehr als Niederschlagskurven: Nehmen wir Splittermond: Interessante Kulturen, die man selten in klassischer Fantasy sieht, wie Indien und Persien. Da müsste doch was gehen? Ich lese gerade Christian Camerons „God of War“, ein Buch über die Eroberung Persiens durch Alexander den Großen. Awesome, voller großartigen Abenteuermaterial. Da geht also was! Aber der – eigentlich allgemein als gelungen empfundene – Weltenband wählt eine Aufbereitung, die mir nicht die Infos gibt, die mich ansprechen. Die Hauptstadt hat X Einwohner, davon sind 7% Wolfsdingsis, der Herrscher ist ein Blabla…

Tharun habe ich vollständig gelesen, denn: Versprochen ist Versprochen, und ich hatte ein Rezensionsexemplar. Aber auch hier: Schwergängig. Sehr schwergängig. Ich musste mich durch einige Teile durchzwingen. Neben dem Schreibstil (man konnte unschwer erkennen, welche Teile 1:1 aus der Schwertmeisterbox waren) war ein Problem, dass mir sehr viele Informationen gegeben wurden, deren Abenteuerrelevanz sich nicht auf den ersten oder auch nur zweiten Blick erschließt – Metakrams, der drei Gedankenschritte vom Abenteuer entfernt ist. Und in beiden Fällen: Geographie ist deutlich überbetont. Wer braucht denn so was in seinen Abenteuern?

Ganz und gar anders die Fate Worlds. Kurze Aufsätze, keine Werte, keine Zahlen. Kurz umrissener Fließtext. Warum rockt mich das jetzt auch nicht? Ist ja nicht so, als müsste ich Statblocks für irgendwelche Hauptstädte lesen, oder Landschaftsbeschreibungen… Ich kann den Finger nicht darauf legen. Vielleicht „zu dünn“ dann, um etwas damit spielen zu können? Zu nah an dem, was beim „einfach drauf los spielen“ am Tisch herauskommt?

Warum interessiert mich die Lektüre der Regeln mehr als die des Settings? Ich weiß es nicht. Irgendwas ist hier falsch! Liegt es an mir?

Was spielst du denn dann eigentlich?

Nicht DSA… auch wenn ich da mal das Settingmaterial gut kannte, aber mein letzter aktueller Stand ist noch im vorigen Jahrtausend. Veraltet und verschüttet :)

Greifen wir mal ein paar Spiele heraus, die ich in letzter Zeit geleitet habe:

Band 1 der Harry Dresden Serie, auf Deutsch bei Feder & Schwert

Ich denke, dass man Dresden Files, Monster of the Week und Urban Shadows zusammenfassen kann. Mit Setting kommt davon nur Dresden Files – und zwar in Form einer fantastischen Buchreihe. Diese Bücher schätze ich sehr und habe sie zum Teil mehrfach gelesen – das Setting wird mir also über Romane vermittelt. Sehr nah an den Abenteuern dieser Welt, die der namensgebende Held ja auch durchlebt.

Die anderen beiden Systeme lasse ich dann in „ähnlichen“ Welten spielen, modifiziert z.B. durch die Fernsehserie Supernatural.

Ergebnis: Die Settingvermittlung passierte also durch andere Medien: Romane und Serien, bei denen Setting lediglich „mitvermittelt“ wird. Dazu muss ich nicht ein Settingbuch lesen, sondern kann etwas tun, was ich ohnehin gerne tue: Lesen oder Serien sehen.

Tales from the Loop GRW

Tales from the Loop lebt von dem Artwork, dass das Spiel überhaupt erst inspiriert hat. 80er Kinder mit SciFi, wie großartig. Wenn man sich das Titelbild ansieht: Kinder, die die Sachen anhaben, die wir damals getragen haben. Die Anoraks, die Rucksäcke, aber mit exotischem und nicht sofort erklärbaren Technogimmicks. Die fremdartige Welt mit massiven schwebenden Luftschiffen. Ich bin mir nicht sicher, ob das GRW ein guter Kauf war, oder ich besser einfach die Artbooks von Simon Stålenhag gekauft hätte. Das GRW versucht ein bisschen Eindeutigkeit in die Technik zu bekommen, zu erklären, wo sie herkommt. Aber das Beispielabenteuer versagt darin, den Reiz des Setting zu vermitteln… wer weiß, was aus den Bildern sonst so herausgekommen wäre. Andererseits wären sie mir ohne den Kickstarter vielleicht auch nie als Abenteuersetting aufgefallen. Auch hier wieder: Keine Lektüre eines Settingbuchs nötig – Vermittlung über das Artwork.

Velvet Glove: Notebook Edition

Zur Vorbereitung von Velvet Gloves habe ich die Filme Faster Pussycat, Kill! Kill! und Switchblade Sisters gesehen und schamlos aus dem Plot geklaut. Aber der Versuch, dieses Filmgenre zu bespielen scheiterte ein bisschen am Widerstand der Playbooks.

The Sprawl (eine eher misslungene Runde auf dem Tanelorn-Treffen) habe ich aus meiner langjährigen, wenn auch schon viele Jahre zurückliegenden Begeisterung für Cyberpunk 2020 abgeleitet – auch weil The Sprawl ohne Setting daher kommt, wie so viele pbtA-Spiele.

Schlechte Nachrichten also für Rollenspielverlage, die Settingbücher verkaufen wollen? Oder bin ich nur ein Exot? Wenn ich mir ansehe, was z.B. der Ulisses-Verlag an „Regionalspielhilfen“ für DSA4 produziert hat, oder Uhrwerk für Splittermond noch produziert, dann habe ich nicht den Eindruck. Liegt also an mir!

Um jetzt mal komplett offen zu sein, zitiere ich mich hier mal selbst in Bezug auf das HeXXen-Croudfunding:

Aber wenn ich da spielen will, dann brauche ich: Soziale Konventionen, Anreden, reichlich Beispiele für politisches Ränkespiel, Regeln, Gesetze, Lebensumstände von Volk und Adel. Genug Details über die wirtschaftlichen Zusammenhänge.

Fiese Kritik, wenn ich das doch selber gar nicht lesen will, oder?

Mein Spielstil als Problem

Ich leite sehr sehr improvisationslastig. Ein Maximum an Vorbereitung von mir bedeutet, dass ich mir überlegt habe, was die Opposition für den nächsten Zeitraum plant, und warum. Wenn ich extrasupergummigut vorbereitet bin, dann habe ich noch ein bis zwei coole Locations, die ich gerne nutzen würde.

Nutzlos? Nur für planlose SLs.

Das führt dazu, dass ich nicht besonders gezielt vorbereiten kann. Ich kann also nicht hingehen und mir überlegen, dass in der zweiten Szene des heutigen Abends die böse Königin auftreten wird, und mir deshalb schon mal ein paar Bilder von Königinnen der korrekten Periode raussuchen. Woher soll ich wissen, was die Spieler in der zweiten Szene vorhaben? Bei mir entscheiden das ja die Spieler, und nur diese. Wüsste ich das, wäre ein Quellenbuch wie „Die reisende Kaiserin“ vermutlich ganz hilfreich. Für mich ist es das aber nicht. Ich bin anders als der Autor kein Historiker – aber habe ohnehin wieder das Problem, dass hier Geschichte und Fiktion eine schwer prognostizierbare Mischung eingehen, bei der einem Geschichtswissen als Klischee hilft, aber keine sichere Prognose zulässt.

Ich muss – und das ist geliebte Herausforderung und stete Überforderung – das Setting möglichst komplett beherrschen, denn Improvisation erfordert sichere Beherrschung. Bis in die letzte Kausalkette hinein. Einer der Gründe vielleicht, warum ich gerne Urban Fantasy spiele: In meiner Welt kenne ich mich am besten aus. Politik, Recht, Verwaltung, Gesellschaft, Wirtschaft, Kriminalität sind vertraut. Die sie lenkenden Mechanismen habe ich studiert. Ich weiß (oder kann mir vorstellen oder begründet vermuten), was passiert, wenn meine PCs eine dieser Gruppierungen treffen oder gar zu Handlungen motivieren wollen oder Reaktionen erzwingen.

Vollständig fiktive oder sehr fremdartige Settings haben es da schwerer. Man kann sie nicht gut genug kennen. Gerade bei den üblichen Nimm-zwei-Genres-und-feste-schütteln-Settings, oder gar den Alles-auf-einem-Kontinent Setting wie DSA und Splittermond ist ein Spannungsverhältnis da, dass nicht aufgelöst werden kann. DSA (jedenfalls das DSA, das ich in Erinnerung habe) hatte z.B. den Konflikt Handlungsfreiheit der PCs und Feudalismus nicht aufgelöst. Adlige wollte man im Setting, aber die absolute Gewalt des Adels über die Untertanen nicht – ob nun, weil unspaßig realistisch, oder weil dem freiheitsgewohnten Spielervolk zu schwer zu vermitteln, wer weiß das schon zu sagen. Das führt aber dazu, dass praktisch alle Interaktion zwischen den Ständen damals für meine Zwecke zu schwer vorhersagbar war, weil man natürlich auch nicht sicher war, wie sich das soziale und rechtliche Ungleichgewicht darstellen würde: Es war ja zutiefst inkonsequent umgesetzt.

Das beste Rollenspiel der Welt, Stand 1992.

Meinen Leitstil konnte ich dann erst mit Cyberpunk 2020 entwickeln. Eine near future World, unsere Welt, nur überspitzt gedacht und durch futuristische Technik fokussiert. Genial: Unsere gesellschaftlichen Mechanismen funktionieren noch, Abenteuer sind möglich, die Spieler können ihre Realwelt-Kenntnis anwenden, um plausible Annahmen über die Spielwirklichkeit zu treffen.

Fazit

Settingbücher sind auf bestimmte Spielstile optimiert geschrieben. Ganz plakativ: Wer jede Überlandreise ausspielt und zu einem Erlebnis macht, der findet Geografie im Settingbuch auch nützlich. Wer eher auf Drama am Hofe steht, der hat von der Geografie nicht sehr viel.

Settingbücher sind aber im Moment für Leute geschrieben, die anders leiten als ich. Deshalb bin ich mit Settingbüchern so unglücklich.

(Und für diese banale Erkenntnis hast du jetzt so viel Text lesen müssen. Ich entschuldige mich, aber die Erkenntnis selbst habe ich erst beim Verfassen des Textes gehabt.)

4 Gedanken zu „Die Frage aller Fragen: Settingbände lesenswert gestalten?

  1. Ganz ehrlich, das sind aus meiner Sicht schlechte Settingbücher:
    Den preisgekrönten Splittermond-Weltenband
    Tharun-Weltenband
    Fate Worlds Volume One: Worlds on Fire

    Was mir als Setting spass gemacht hat zu lesen war:
    Planescape – ganz großes Kopfkino
    Dark Sun – ebenfalls großes Kopfkino
    Degenesis – Weil man sich bei der Sprache einfach echt mühe gegeben hat (Spielen will ich es im Augeblick nicht, da ich nicht in Endzeit-Stimmung bin)
    Exalted – 1. Edition in Englisch
    Fading Suns – auch Kopfkino ….

  2. Wie kann man denn ohne Kenntnis der Geographie Hofintrigen spielen? Der Graf von X verbündet sich mit Baronin Y ist ein Riesenunterschied wenn zwischen den Beiden Herrschaftsgebieten 2000 Km liegen oder ein schmaler Sumpf. Oder ein Hochgebirge. Oder eine der wichtigsten Handelsstrassen. Nur mal so. Deswegen… Hmmmm.
    Aber ich mag auch die Landschaftsbeschreibungen von Tolkien, also… ;)
    Beste Settingbeschreibung mMn: Yoon Suin. Slug-men rule! (Höhöhö)

    • Sorry, dein Kommentar ist im Spam verschwunden, das habe ich eben erst gemerkt.

      Ich würde sagen, dass eine Karte irgendwie immer bereichernd ist. Dafür brauch ich aber keine Landschaftsbeschreibung!

      Bei Tolkien ist das übrigens irgendwie ulkig. Lese ich selbst, wird Landschaftsbeschreibung durch das Kratzen der Schallplattenspielernadel ersetzt, während ich drüber hinwegquerlese. Aber bekomme ich das Buch vorgelesen, dann kann es schon angenehm sein. Aber auch ermüdend…

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