„Charakterspiel“ ist Zeitverschwendung

„Ermuntere und fördere Charakterspiel“ schreibt „Thorsten spielt Rollenspiel“ in seiner Übersetzung eines interessanten Artikels, nämlich „These 2 Things Are All You Need To Do To Be A Great GM“ von Hayley Gordon. Das ist ein spannender Ansatz, in dem ich viel von „meinen“ Techniken wiederfinde.

Aber was ist dieses Charakterspiel eigentlich und warum wollen wir das?

In meinen schlimmsten Alpträumen sitzen die PCs in einer Taverne zusammen und erzählen sich gegenseitig ihre Hintergrundgeschichte. *brr* Mit schlechtem Akzent und Fake-Mittelalter-Sprech (bei Praios, meiner Treu!)

Das ist lahm. Das will ich nicht hören. Das interessiert mich nicht. Und es ist nicht mal Rollenspiel: Denn Rollenspiel ist die Handlungsgestaltung durch Interaktion mit den anderen Spielern, nicht der Monolog über einen Handlungsabschnitt, an dem die anderen Spieler nicht teilgenommen haben.

Es ist übrigens auch objektiv langweilig. Deshalb kommt es in Filmen auch nicht vor.

Was ist denn dann das wünschenswerte „Charakterspiel“?

Wie eigentlich immer in einer Erzählung ist der Konflikt spannend. Und das gilt auch und gerade für Charakterspiel – es braucht einen Konfikt, einen Einsatz und die Besonderheit des Charakters. Von dem Trauma zu erzählen, dass der Verlust deiner Mutter für dich bedeutet hat, ist langweilig, wenn wir alle in der Taverene im warmen hocken. Es wird nicht spannender, es in der Eishöhle des Drachens zu hören, während wir auf seine Rückkehr warten. (Da ist dann zwar ein Konflikt, aber der hat nichts mit dem Hintergrund zu tun).

Es ist spannend, wenn du die intrigante böse Königin töten möchtest, und ihr Kind (genau so alt, wie du es damals warst!) dich um ihr Leben anfleht: Töte meine Mami nicht! Stellst du jetzt das Wohl des Königreiches über das Wohl des Kindes? Riskierst du das Scheitern, um dem Kind die Mutter zu lassen? DA interessiert mich dein Trauma auf einmal, da ist es gut aufgehoben, da ist es spannend. Im Konflikt sehen wir, was deine Hintergrundgeschichte wert ist, welche Opfer du dir selbst auferlegst.

„Charakterspiel“ ist Spiel

Auch auf das Risiko hin, diesen Gaul zu Tode zu reiten: CharakterSPIEL meint hier nicht Schauspiel, sondern Rollenspiel. Wir sind nicht bei Shakespeare – wenn du mit dem erhobenen Dolch über der besiegten Königin kniest, will ich keinen Monolog. Monolog ist aus! Böse! Pfui! Wenn du nicht gerade „Forsooth!“ spielst, dann lass dass bitte.

Ebenfalls schlechter Stil: Darüber zu berichten, was du gerade denkst. Der „innere Monolog“ ist kein Stück besser. Es ist dein Job als Spieler, deinen Konflikt zu externalisieren (oder, wenn du gerade in der passenden Lage bist, einem anderen Spieler dabei zu helfen). Mit „Externalisieren“ meine ich, dass der Konflikt nach außen treten muss, damit er „beobachtbar ist“.

Besser also als der Monolog:

  • PC1 steht mit erhobenem Dolch über der bösen Königin. Er sieht in die flehenden Augen der kleinen Prinzessin, die um das Leben ihrer Mama bettelt. Er zögert.
  • Böse Königin lacht triumphierend
  • PC2: „Nun töte sie schon!“
  • PC1: „Ich kann das nicht!“
  • PC2 zieht ihren eigenen Dolch. „Muss ich alles selber machen?“
  • PC1: Charakterspiel!

Jetzt sind wir an dem Punkt, wo das „Charakterspiel“ angefangen hat. Hier haben wir einen Konflikt, der spannend ist. Einen Einsatz, der uns was bedeutet (nicht nur das Wohlergehen des Königreichs, sondern auch den Zeiteinsatz des ganzen Abends, den unsere Helden benötigt haben, um überhaupt mit dem Dolch über der Königin stehen zu können). Und wir haben einen Dialog, in dem wir das ganze Unterbringen können. Hier lehne ich mich jetzt gerne zurück und genieße das Charakterspiel.

Und verzeiht mir, wenn wir dann in der nächsten Sitzung das Einkaufen wieder überspringen. „Charakterspiel“ beim Feilschen um einen Dolch kannst du bitte bei einem anderen SL erleben. Wir brauchen die Zeit. Für meine Sorte Charakterspiel.

10 Gedanken zu „„Charakterspiel“ ist Zeitverschwendung

  1. Danke, für diesen Artikel. Der formuliert ganz gut, was mich auch immer schon gestört hat, ohne es auf den Punkt bringen zu können. „Charakterspiel kommt von Spielen“ werden ich Spielern auch das nächste mal sagen, wenn sie monologisieren ;)
    Tatsächlich hat meine derzeitige Gruppe das aber sehr gut raus, mit dem Spiel mit dem Hintergrund und dem Externalisieren.

    • Haben die das raus, oder bist du als SL besser darin geworden, rechtzeitig die Szene zu wechseln? So mache ich das in der Regel, aber muss mir dann hinterher Kritik daran anhören, dass man so ja „seinen Charakter nicht ausspielen könne“.

      • In diesem Fall haben sie es wirklich raus. Bei anderen Gruppen hat das weniger gut geklappt.
        Was es manchmal noch gibt, ist ,dass der „Innere Monolog“ kurz nachgeschoben wird, obwohl eigentlich schon rauskam, was den Charakter antreibt. Da steht aber, glaube ich, eher die Sorge hinter, bei den anderen auf Missverständnis zu treffen. Ist aber auch selten. Das kenne ich als Spieler ebenfalls gut und bin nicht frei davon, hinterdrein noch einmal kurz zu sagen, warum mein Charakter dieses oder jenes gemacht hat. Aber auch den Affekt habe ich mir mittlerweile weitstgehend abtrainiert.

  2. Ich verstehe nicht ganz, warum der Monolog bei dir so schlecht wegkommt. Zumal Hayley Gordon der SL ja durchaus rät, introspektive Fragen zu stellen – die eine Figur und ihren emotionalen Zustand charakterisieren, womit dann wieder alle arbeiten können.

    „Tavernenspiel“ wiederum wird ja nicht besser dadurch, dass es im Dialog stattfindet. Das eigentliche Problem ist doch, dass es sich dabei um – oft auch noch quälend lange – Szenen handelt, für die es keinen Grund gibt außer: „Aber MEINE Immersion…“. Weder steht etwas auf dem Spiel: In Hillfolk oder Breaking the Ice können handlungsbefreite Dialog-Szenen, sogar Smalltalk, absolut spannend sein – Linklaters Before-Trilogie besteht ja z.B. auch ausschließlich daraus – aber da stehen die Figuren eben ausdrücklich in einem emotionalen Verhältnis zueinander. Noch kann es sich um den Versuch handeln, die Figuren über einen Monolog zu charakterisieren, müsste man das Ganze dann doch wenigstens gezielt so aufsetzen – selbst wenn man es freiformt – und hätte dementsprechend auch einen Blick dafür, wann die Szene enden kann: Gegenbeispiele mit Monolog wären hier die Flashbacks in 3:16 oder Szenen in House of Reeds, in denen man die Familie und ihr Zuhause (im Wandel) näher kennenlernt.

    • Vielleicht kenne ich das nur nicht in „Gut“. Aber ich würde einen Flashback nicht unter Monolog fallen lassen – jedenfalls bei uns wird da schnell ein Dialog draus!

  3. Der furchtbare Originalartikel – aber leider auch ein bisschen dieser – scheitern, wie üblich daran, Verallgemeinerungen über RPG jenseits des Grundprinzips (ich sage, was man charakter tut und eine zweite Instanz bestimmte die Konsequenz) anzustellen.
    Kürzlich unterhielten wir uns am Spielabend über eine Szene in einem (computer)Rollenspiel. Die Szene drehte sich darum, dass die SC zusammen mit den anderen NSCs einen Geburtstag vorbereitet, was aber nichts mit dem Plot oder Thema des Spiels zu tun hatte. Also klassischer Tavernentratsch.
    Ich habe später darüber nachgedacht, was für ein HORROR es für mich als Spieler wäre, in unserer epischen Fantasy-Weltenretter-Kampagne auf einmal einen Geburtstag zu organisieren.
    Aber noch später fiel mir auch: Das stimmt gar nicht. Es war nur in DIESEM Moment für mich der pure Horror, aber alles hat im RPG seinen Platz, wenn nur die Mitspieler gerade Bock darauf haben.

    Das ist die einzige Stärke, die RPG gegenüber anderen Medien hat. Manchmal hab ich Bock, den SC darzustellen, auch ohne „Spiel“, manchmal ödet es mich nur an und ich will Action. Manchmal spiele ich am Handy, damit die anderen mehr Zeit haben, Ihren Kram darzustellen, manchmal bin ich zu ungeduldig und will, dass mehr Spiel hineinkommt und ich mitmachen kann.
    Da gibt es kein richtig oder falsch.

    Das Einzige, was man falsch machen kann, ist selbst nicht zu erforschen, wo die Ursachen liegen, wenn man keinen Spaß hat. Daran kranken mMn sehr viele Runden.

    • Ich würde dir zugestehen, dass auch eine Geburtstagsvorbereitung ihren Platz im Rollenspiel haben kann. Aber wie du schon feststellst, kommt es auf die Situation an. Bei epischer Weltenrettung – not so much. Es braucht eben auch da eine Bedeutung – bei Monsterhearts könnte es eine spannende Szene sein, denn da geht es um Beziehungen, und genau das ist das Ausrichten einer Geburtstagsfeier.

      • imho braucht es eben keine „Bedeutung“, außer „die Spielrunde steht gerade darauf“. Ab wann etwas dann nicht mehr zum RPG gehört, ist dann natürlich nicht mehr so leicht zu klären, da gebe ich dir Recht. Aber Schubladen funktionieren im Sozialen ja i.A. nicht besonders gut.

        Aber eine RPG Kampagne kann auch nicht nur aus „bedeutenden“ Szenen bestehen, was immer das genau heißt. Auf Dauer geht mir z. B. die Motivation flöten, wenn da nicht genug Fluff-Fleisch auf die Crunch-Knochen kommt.

        Und obendrauf, ob etwas im RPG relevant ist, entscheided sich ja nicht selten erst später. Begegnet mein SC z.B. einem Räuber, mit dem er ein Abenteuer zuvor zufällig einen guten „Tavernentratsch“ hatte, lässt er den SC ja vielleicht ziehen. Das kann in dem Moment aber noch niemand wissen. Der SL bedient sich dann einfach an dem Fundus und der kann aus allen möglichen Richtungen kommen.

  4. Nein, da kann ich dir nicht zustimmen. Auch wenn das Beispiel gut gewählt ist – das Ergebnis wäre toll. Aber die Ausführung deines Beispiels hat mir einfach zu viele langweilige Elemente. Das ist nämlich ein Dilemma: So wie du es schreibst, klingt es erstmal toll. Aber damit der Spieler (oder zumindest sein Charakter) etwas dabei fühlt, muss die „Tavernenszene“ ziemlich umfangreich werden. Und das ist sehr sehr schwer unterhaltsam hinzubekommen.

    Nichts gegen „Coffee and Cigarettes“ von Jim Jarmusch: Das ist tolles Tavernenspiel, das ich gerne gesehen habe. Aber da sind absolute Meister am Werk. Das kommt im Laienimprotheater am Rollenspieltisch einfach nicht genau so rüber…

  5. Jein. Du wolltest mich beschwören, oder? ;-)

    Du sagst: „Es ist spannend, wenn du die intrigante böse Königin töten möchtest, und ihr Kind (genau so alt, wie du es damals warst!) dich um ihr Leben anfleht: Töte meine Mami nicht! Stellst du jetzt das Wohl des Königreiches über das Wohl des Kindes? Riskierst du das Scheitern, um dem Kind die Mutter zu lassen? DA interessiert mich dein Trauma auf einmal, da ist es gut aufgehoben, da ist es spannend. Im Konflikt sehen wir, was deine Hintergrundgeschichte wert ist, welche Opfer du dir selbst auferlegst.“

    Ich halte dagegen: Aber langweilig ist, wenn diese Eigenschaft plötzlich vom Himmel fällt, nur um sinnlos Drama zu verursachen.

    Und hier kommen die von dir als „langweilig“ empfundenen Szenen rein, die nämlich genau so etwas vorbereiten: Dass man ein Mutter-/Kindertrauma hat. Dazu braucht es eine Szene, in der eben weniger Action passiert. Und mit einer solchen Szene macht man den Spielleiter im besten Fall auch gleich darauf aufmerksam, dass man dieses Mutter-/Kindertrauma hat. Es entsteht ein Dialog.

    Du vergleichst Rollenspiel mit Filmen, in denen solche Dialoge nicht vorkommen; ich empfinde sie eben eher als Serien(episoden). Da ist mehr Platz für Charakter(spiel) und -entwicklung, und das gehört da meiner Meinung nach auch rein.

    Übrigens: Über Tavernenspiel müssen wir nicht reden, ohne Ereignisse kein Spaß.

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