Gastbeitrag: Sind wir reif für schwule Charaktere und NSCe?

Romantik & Liebe

Romantik & Liebe

Im Rahmen des von mir organisierten Karnevals der Rollenspielblogs zum Thema „Romantik und Liebe“ habe ich auch die Frage gestellt: „Sind wir reif für schwule Charaktere und NSCe?“. Dafür habe ich viel Kritik erhalten, überwiegend von Personen, bei denen mir die sexuelle Präferenz unbekannt ist. Ich habe daher Olli (dessen Präferenzen mir bekannt sind :) ) gebeten, seine Sicht der Dinge aufzuschreiben und danke ihm ganz herzlich für seinen Beitrag.

Sind wir reif für schwule Charaktere und NSCe?

Der Blechpirat hat mich gebeten, einmal meine Gedanken zu diesem Thema aufzuschreiben. Immerhin bin ich schon mein halbes Leben Rollenspieler und fast genauso lang offen schwul. Ich möchte mich dabei gar nicht lange an der Formulierung der Frage aufhängen und über ihre politische Korrektheit nachsinnen. Stattdessen stelle ich einfach die Gegenfrage: Sind wir reif für schwule Mitspieler? Wer das mit „Nein“ beantwortet, ist offenbar in einem Jahrzehnt steckengeblieben, in dem es noch keine Blogs gab, und kann diesen Text deswegen gar nicht lesen. Von einer aufgeklärten Leser*innenschaft erwarte ich als Antwort ein „Ja“.

Es stellt sich bei schwulen Charakteren und NSCen also nicht die Frage des Ob, sondern die Frage des Wie. Dazu kann ich aus meiner Erfahrung hoffentlich ein paar erhellende Informationen beisteuern. (Anmerkung: Ich werde mich auf die schwule Sicht der Dinge beschränken. Vieles lässt sich mit Sicherheit auch auf andere LGBTTIQ*-Figuren übertragen – aber ich möchte mir nicht anmaßen, für alle diese Menschen zu sprechen.)

Wie sieht die Spielwelt aus?

Meine Sozialisierung als Rollenspieler erfolgte, wen wundert’s, über DSA. Schon früh während meines Coming Outs vor über 20 Jahren fiel mir einer der Gründe auf, warum die Spielwelt Aventurien einen so großen Reiz auf mich ausübte: eine mittelalterliche Welt, die aber nicht von Jahrhunderten repressiver Sexualmoral geprägt war, sondern in der es eine leibhaftige Liebesgöttin gab, der es herzlich gleichgültig ist, wer mit wem Leidenschaft und Hingabe erlebt. Dieser Aspekt konsequent weitergedacht bedeutet: es kann in Aventurien keine gesellschaftlich fest verankerte Schwulenfeindlichkeit geben. Selbstverständlich können einzelne Personen Vorurteile hegen, und je nach ihrer Macht diese Vorurteile auch wirksam werden lassen. Aber sie können sich zur Begründung ihrer Vorurteile nicht auf göttliches Recht, heilige Schriften oder andere Herleitungen stützen, ohne Widerspruch zu ernten. Eine flächendeckende und dauerhafte Ablehnung ist daher nicht denkbar. Und weil dieser Zustand schon seit geraumer Zeit so besteht, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass jedes Kind von vornherein mit einem schwulen Vorbild in seinem Umfeld aufwächst – und sei es der Köhler im Nachbardorf, der mit dem Schafhirten zusammenlebt.

Noch weniger übrigens kann ich mir Schwulenfeindlichkeit in SF-Settings vorstellen. Der wissenschaftliche und gesellschaftliche Fortschritt in der westlichen Welt, den ich alleine in den letzten 20 Jahren erlebt habe, weist die Richtung. Inzwischen dürfte anerkannt sein, dass menschliche Sexualität vielfältig und vielschichtig ist – die Suche nach dem „Schwulen-Gen“ (das man dann ja abschalten könnte) ist schon jetzt praktisch erledigt.

„Wer von euch beiden ist denn die Frau in der Beziehung?“

Klischees über Schwule sind hartnäckig. Schwule sind weibisch und tuntig, sie treiben sich nachts in dunklen Ecken des Stadtparks herum, um dort flüchtigen Sex zu haben – denn sie sind ja überhaupt nicht in der Lage, feste Beziehungen einzugehen. Und wenn sie doch mal eine Beziehung haben, dann ist einer der Mann und der andere die Frau.

Über diese Klischeebilder könnte man vermutlich eine Doktorarbeit in Gender Studies verfassen: „Die Henne und das Ei – Inwiefern sind typisch schwule Verhaltensweisen durch die gesellschaftliche Situation erst geprägt worden?“ Irdisch gibt es für die Entstehung all dieser Klischees eine nachvollziehbare Erklärung: der tuntige Friseur ist unübersehbar, während der schwule Bankangestellte eine Alibi-Ehe eingegangen ist. Wo es keine gesellschaftlich anerkannten Treffpunkte gibt, da bleibt nur der Stadtpark. Wo zwei Männer zusammen keine Wohnung mieten können, sind dauerhafte Beziehungen schwierig. Das Perfide an der repressiven Gesetzgebung vergangener Jahrzehnte war also nicht zuletzt, dass gerade diese Regeln schwule Männer in Verhaltensweisen hineintrieben, die ihnen anschließend vorgeworfen wurden und als Begründung für die Notwendigkeit solcher Gesetze dienten.

Gibt es in Kuslik schwule Hafenkneipen?

Jetzt aber die Frage: Wenn die gesellschaftliche Situation von vornherein eine andere ist – welche Entwicklung ergibt sich daraus? In Aventurien sieht es womöglich ganz anders aus. Natürlich kann es weiterhin tuntige Barbiere geben – aber wie stark prägen sie das Bild neben offen schwulen Stadtgardisten und Hochgeweihten? Klischees schleifen sich bei fortwährender Kollision mit der Realität allmählich ab. Neben Thomas Hitzlsberger, Guido Westerwelle und Zachary Quinto ist Harald Glööckler eben nicht mehr der typische Schwule, sondern eine Facette breitgefächerten schwulen Lebens.

Die prozentuale Verteilung zwischen schwul und hetero (und allem dazwischen) in Aventurien dürfte vermutlich der irdischen entsprechen. Unterschiede ergeben sich aber aus der Sichtbarkeit. Egal, ob ein Mann sich als ausschließlich schwul versteht oder er nur neugierig und experimentierfreudig ist, er muss sich dafür nicht verstecken. Insofern stellt sich durchaus die Frage, ob es überhaupt gesonderte Treffpunkte für schwule Männer geben müsste. Insgesamt würde ich das in größeren Städten aber doch bejahen – schon aus der simplen Erwägung heraus, dass sich jedes Gemeinwesen mit zunehmender Größe auch zunehmend in verschiedene „Szenen“ ausdifferenziert.

Eine Chance für die Liebe

Was haben diese ausführlichen Ergüsse nun mit dem Blogthema „Liebe und Romantik“ zu tun? Sehr viel. Unter der Prämisse, dass es in der Spielwelt keine gesamtgesellschaftliche Ablehnung gibt, fallen nämlich letztendlich die allermeisten Unterschiede zwischen einer heterosexuellen Romanze und einer schwulen Liebesgeschichte weg. Die Schmetterlinge im Bauch beim ersten Kennenlernen, das gemeinsame Überwinden von Hindernissen oder im schlimmsten Fall der Schmerz über den Verlust des Geliebten – das sind universelle Gefühle und Erfahrungen, unabhängig vom Geschlecht.

Der größte verbleibende Unterschied steckt in den Wahrscheinlichkeiten. Wenn über den Daumen gepeilt 90% der Bevölkerung heterosexuell sind, bedeutet das: ein Mann, der eine Frau attraktiv findet, wird mit dem arttypischen Balzverhalten beginnen (wie auch immer sich das in seiner jeweiligen Kultur darstellt). Er wird sich dabei bestenfalls darüber Sorgen machen, dass sie ihn persönlich aus individuellen Gründen – er ist zu groß, zu klein, zu arm, zu muskulös, zu was-auch-immer – zurückweisen könnte. Auf die Frage, ob die Auserkorene überhaupt an Männern interessiert ist, wird er hingegen kaum einen Gedanken verschwenden – wozu auch, wenn in 90% der Fälle dazu kein Anlass besteht.

Ein Mann, der einen anderen Mann attraktiv findet, muss diese Wahrscheinlichkeiten von Anfang an mitbedenken. Für ihn sind ansonsten nämlich 90% der Fälle von vornherein verlorene Liebesmüh. Deswegen sollte er zunächst herauszufinden versuchen, ob er grundsätzlich mit seinen Avancen Chancen haben könnte. Und auch wenn Schwulsein gesellschaftlich nicht verpönt ist – es steht dem Mann nun einmal nicht auf der Stirn geschrieben, sondern muss erst irgendwie herausgefunden werden. Erst wenn er diese Hürde erfolgreich gemeistert hat, geht es für ihn (und seinen Schatz) weiter im Text.

„Spiel doch mal’nen Schwulen!“

Zum Abschluss hat der Blechpirat mich um Tipps für die SL zur glaubwürdigen Darstellung von schwulen NSCen gebeten. Auch da könnte ich mich kurz fassen und mit der Bemerkung „Schwule sind auch nur Menschen!“ auf viele andere Quellen verweisen, in denen es um die Charakterzeichnung von Meisterfiguren allgemein geht. Aber da wäre der Blechpirat sicherlich ein wenig enttäuscht, und seinem Dackelblick kann ich nicht widerstehen. Deswegen mache ich es jetzt doch noch etwas ausführlicher – und hoffentlich so allgemeingültig, dass es auch in anderen Spielwelten (einschließlich in einem weniger schwulenfreundlichen Aventurien als „meinem“) funktioniert.

Erster Tipp: Schwulsein ist nicht abendfüllend. Kein Mensch wird nur durch einen einzigen Charakterzug geprägt. Auch ein improvisierter Statisten-NSC sollte mehr als diese eine Eigenschaft aufweisen dürfen. Wenn sie denn überhaupt offensichtlich ist: auch der NSC trägt schließlich kein Schild um den Hals. Als SL kann man da auch diskretere Signale senden: der Stadtgardist, der bei dem blonden Streuner ein Auge zudrückt, während die Betörungsversuche der Bardin völlig an ihm abprallen. Und wo wir gerade bei diesem Thema sind: Schwulsein bedeutet nicht, unterschiedslos auf jedes Wesen männlichen Geschlechts scharf zu sein. Das ist eine vermutlich von Angstlust befeuerte Vorstellung engstirniger Heterosexueller. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, deswegen kann man hier einmal Herrn Ruthe sprechen lassen:   http://ruthe.de/cartoon/2728/datum/asc/

Zweiter Tipp: Nehmt die Tunten ernst. Weil das Klischee so bekannt ist, kann man es am Spieltisch natürlich sehr schnell „anzapfen“ und mit eindeutigen Gesten und Tonfall erkennbar darstellen. Aber gerade dieses Bild kann man auch sehr gut gegen den Strich bürsten. Man muss sich nämlich klar machen: in einer schwulenfeindlichen Gesellschaft sind Tunten diejenigen, die sich nicht verstecken können. Das heißt, sie müssen mit Anfeindungen und Ablehnung umgehen – und diese Erfahrungen machen sie stärker und mutiger als jeden versteckt schwul lebenden Mann. Nicht vergessen: Es waren die Tunten, die sich im Sommer 1969 vor dem Stonewall Inn als erste gegen Polizeigewalt wehrten und Steine warfen.

Dritter Tipp: Hört auf die Zwischentöne. Wie verhält sich ein Schwuler, der zwar von anderen Schwulen erkannt werden möchte, sich aber nicht zugleich vor aller Welt offenbaren will? Er sendet Signale, die man nur mit den richtigen „Antennen“ empfangen und entschlüsseln kann. Das können der etwas intensivere Blickkontakt oder bestimmte Details der Kleidung sein. Beides ist am Spieltisch nicht immer so einfach umzusetzen. Als Ausweichmöglichkeit bietet sich die Sprache an. Unverbindliche Formulierungen, die eindeutig klingen, aber auch etwas anderes bedeuten können:  wenn ein Mann konsequent von seiner „besseren Hälfte“ spricht und nie von seiner „Gattin“ – meint er dann womöglich gar keine Frau?

Manchen mag all dies womöglich schon viel zu „verschwult“ vorkommen. Für mich ist es die Vorstellung einer Welt, in der die Mitglieder einer Minderheit sichtbar und anerkannt sind. Dieses Bild ist unglaublich erholsam im Vergleich zur Realität – und ein bisschen macht es auch Mut, sich anschließend in der Realität entsprechend zu verhalten und sie damit Schritt für Schritt zu verbessern.

21 Gedanken zu „Gastbeitrag: Sind wir reif für schwule Charaktere und NSCe?

  1. Schöner Eintrag, und ich möchte ihm zur guten Teilen stützen.
    Nur zu guten Teilen? Ja!

    Sind wir reif für schwule Charaktere und NSCe?
    – Die Antwort erübrigt sich eigentlich, denn diejenigen, die die Frage verneinen outen sich doch als homophobe Vollpfosten von Vorgestern.

    – Gibt es in Kuslik schwule Hafenkneipen?
    Keine Ahnung! Muß mich das interessieren?
    DSA interessiert mich nicht (Ja, ich weiß, Kuslik war jetzt synonym gemeint)
    Ich war noch nie in Kuslik.
    Und selbst wenn wir ein für mich interessantes Setting nehmen. Muß ich mich dafür interessieren und ist ein „mir doch egal“ automatisch homophob?
    Oder darf ich mir in meinem Spiel vielleicht doch aussuchen, was ich zum Spielinhalt machen möchte und was nicht? (dazu gleich mehr)

    „Spiel doch mal’nen Schwulen!“
    Den Vorschlag würde ich dankend ablehnen.
    Ganz ganz ehrlich: Nein danke, ich werde sehr wahrscheinlich keinen schwulen spielen!
    Ich spiele aber auch keine Frauen und das nicht, weil ich ein Frauenfeind wäre.
    Schlicht, weil ich kein guter Schauspieler bin und mich in komplizierten Rollen unwohl fühle. (Bevor jetzt einer „hah, erwischt, er fühlt sich also doch unwohl“ krakeelt: Die Betonung liegt dabei auf „komplizierte Rolle“!)
    Ich möchte in meiner Freizeit das machen, wozu ich Lust habe und nicht das, wozu mich andere bringen möchten.

    Ich (und auch die 3 Frauen und die 2 Männer, mit dem ich spiele) spiele(n) Rollenspielspiele zum Zwecke des Eskapismus (Realitätsflucht und so). Realitätsflucht meint hier aber nicht „selbstgestalte Welt gemäß Wunschgedanken“ (also implizit: die Schwulenfeindlichen gestalten sich schwulenfreie Spielwelten), sondern es ist damit „im Spiel kommt das vor, mit dem wir uns beschäftigen wollen“ gemeint.

    Und das ist in der Regel was anderes. Nicht, wegen homophober Ablehnung.
    Die sexuelle Orientierung von Individuen spielt in unserem Rollenspiel schlicht keine oder nur eine stark untergeordnete Rolle.

    „Hey, warst Du eigentlich in den letzten 5 Jahren mal in einer Schwulenkneipe?“
    „Nein, wieso“
    „Äh, Du homophobes Ar….“
    „Nee, Du, ich war in den letzten 5 Jahren in GAR KEINER Kneipe!“

    Es gibt viele andere Sachen, die bei uns nicht oder nur sehr selten zum Rollenspielinhalt gemacht werden.
    Aber nur weil etwas nicht explizit erscheinen läßt, impliziert das nicht automatisch eine Ablehnung.

    Ich werde meine Neffen auch keine Standpauke halten, wenn sie bei ihrem Räuber und Gendarm Spiel keine Razzia in einer entsprechenden Kneipe machen („Ihr müsst aber, sonst werdet ihr homophob und dann kommt die Rollenspielpolizei und verhaftet Eure Eltern!“).

    Die sollen gefälligst das zum Spielinhalt machen, was sie wollen!
    Und das gilt für jeden – auch für Erwachsene. Spielen heißt schließlich „mach das, wozu Du Lust hast“.

    Wenn ich gezwungen werde, mich wegen falsch verstandener ‚political Correctness‘ mit Spielinhalten zu beschäftigen, zu denen kein am Spiel Beteiligter irgendein Interesse hat, dann läuft irgendwas falsch.

    Das gilt insbesondere, da die Reaktion auf die sexuelle Orientierung eines Menschen „ist doch vollkommen egal“ sein muß!
    Wenn also für Menschen bei der sexuellen Orientierung Toleranz erwartet wird, warum wird bei den Menschen, die ein Gesellschaftsspiel spielen bei den eigens gewählten Spielinhalten keine Toleranz gewährt?
    Und auf die Antwort: „Aber wir sind doch tolerant!“ kann ich mir die Frage nicht verkneifen: Warum erntet dieses Thema dann soviel Aufmerksamkeit, Reaktion und Raum?

    Ich erinnere mich an die 90er, als die Besserspieler einen regelrecht steinigten, weil man keinen 100 Seitigen Lebenslauf für seinen Charakter vorweisen konnte.
    Damals:
    „Warum hast Du keinen Lebenslauf!“
    „Du, isch hau gern Monster platt, un‘ da brausch man dasch nisch!“
    Heute:
    „Warum spielst Du nicht mal einen schwulen Charakter?“
    „Du, isch hau gern Monster platt, un‘ da brausch man dasch nisch!“

    Alles klar soweit? ;-)

    • „Wenn ich gezwungen werde, mich wegen falsch verstandener ‚political Correctness‘ mit Spielinhalten zu beschäftigen, zu denen kein am Spiel Beteiligter irgendein Interesse hat, dann läuft irgendwas falsch. “

      Na was ein Glück, dass du die Absicht gleich erkannt hast und eingeschritten bist. Kann ja nun nicht sein, sowas.

      • Ich versteh auch nicht, woher die Aggresivität im Kommentar kommt. Vermuten würde ich, dass er die Intetntion des Artikels nicht wirklich verstanden hat.

        • Vielleicht hat er die Zwischenüberschrift „Spiel doch mal’nen Schwulen!“ als direkte Aufforderung missverstanden. Sie ist als Zitat gemeint und bezieht sich auf Anregungen des Blechpiraten, was er in meinem Gastbeitrag gerne lesen würde. Ich hätte vielleicht doch bei der ursprünglich angedachten Überschrift „Mach noch mal die schwule Küchenschabe!“ bleiben sollen :-)

  2. Ein schöner Beitrag. Dein erster Tipp – der auch ganz allgemein ein guter Ratschlag ist, gerade weil man für Romantik & Liebe um ein bisschen Persönlichkeit nicht herumkommt, wenn man nicht total flach bleiben will – zeigt, finde ich, dass man als SL, selbst wenn einem die sexuelle Orientierung als Charakterzug für eine SC/NSC Persona wichtig ist, eben nicht einfach das von dir eingebrachte Schild benutzen kann. Ich könnte mir vorstellen, dass hier eine Gender-unabhängige Zufallsliste mit kurzen Vignetten/Beschreibungen für ablehnendes/flirt-iges/verliebtes etc. Verhalten weiterhilft. Damit man den schwulen o.a. NSC handeln lassen kann, ohne groß überlegen zu müssen und am Ende wieder beim Standardverhalten zu landen.

  3. Danke für diesen Artikel :) da waren für mich als SL einige recht interessante Denkanstöße drin, da ich mir über die Aspekte versteckten Flirtens/ Interessiertzeigens bei gleichgeschlechtlichen Interessen nie wirklich Gedanken gemacht habe. Eigentlich genug Grund, sich damit ein bisschen mehr auseinander zu setzen – wie wäre es denn mal mit einem Artikel darüber? ;)

    • Es ist tatsächlich gar nicht so einfach, die irdischen Verhältnisse nach Aventurien zu übertragen. Als nonverbale Signale würden mir da die typischen Symbole einfallen: die Regenbogenfahne als Sticker am Rucksack, auf dem Kofferraum oder an der Tür des Geschäfts. Dazu bestimmte Kleidungs- oder Schmuckstücke bzw. die Art, sie zu tragen – in meiner Studentenzeit hörte ich über Ohrringe bei Männern noch den Satz „Links cool, rechts schwul“. Im Horasreich vielleicht eine Lavendelblüte im Knopfloch?^^
      Als diskrete verbale Signale verstehe ich irdisch die Verwendung bzw. Vermeidung bestimmter Formulierungen. Das Wort „schwul“ als Synonym für „blöd, langweilig“ wird ein Schwuler eher nicht nutzen. Dafür aber vielleicht Zitate aus Absolutely Fabulous, Wizard of Oz und natürlich modernen schwulen Serien wie Queer As Folk. Außerdem – Achtung Klischee! – spricht er vielleicht lieber (und kenntnisreicher) über den Eurovision Song Contest als über die Fußball-EM. Um so etwas nach Aventurien zu übertragen, bräuchte man aber eine viel genauere Definition der kulturellen Codes, als es bei der Beschreibung einer Rollenspielwelt sinnvoll zu händeln wäre.

  4. Ich bin an einer Stelle nicht ganz der Meinung des Artikels: Die Antwort auf die Frage „Sind wir reif für schwule Charaktere und NSCe?“ würde ich nicht so eindeutig beantwortet sehen. Wenn man unter extrem erfahrenen Rollenspielern ist, die sich bewusst sind, das das effektiv für den Alltag nur einen unterschied macht, wenn es auch mit hetero Charakteren zu romantischen/sexuellen Szenen kommen würde. Wenn jedoch ein Charakter schwul ist, und allein wegen dieser Tatsache plötzlich sein ganzes Leben nur daraus besteht, sich über heteros, anfeindungen u.ä. aufzuregen, sich an Männer ranzumachen etc. etc. ist das kein Gewinn für die Spielrunde. Sieht man aber seltener – typischer sind eh von Männern gespielte gutaussehende Frauen, die aus irgendeinem Grund grundsätzlich lesbisch sind… meist als Totschlagargument für hetero SC und NSC, die (verständlicherweise) leichte Avancen unternehmen (gutaussehend halt)

    • Mit anderen Worten: Deppen können alternative Sexualitäten dazu verwenden, sich als Deppen aufzuführen. Genau wie sie quasi jedes andere Spielelement dazu verwenden können…

  5. Danke für diesen einfachen und ehrlichen Artikel!
    Gerade, dass das „einen ‚Schwulen‘ spielen“ eigentlich nichts anderes sein sollte, als einen ‚Heten‘ zu spielen, finde ich immer wieder erwähnenswert. In einer Welt, in der man permanent und in jeder Lebenslange mit Heterosexualität zugeschüttet wird, verkennen das manche.
    :)

  6. Ein sehr guter Artikel. Ich hoffe DSA 5 bewahrt sich diese „schwulen freundliche“ Welt.

  7. Wenn ich DSA gemeistert habe, war meine Darstellung von Homosexualität weniger von der Moderne, sondern mehr von der klassischen Antike geprägt, beispielsweise dahingehend, dass es von der Familie oder der Gesellschaft einen gewissen Druck gibt, sich fortzupflanzen, um das Erbe zu sichern. Aber darüber hinaus hat man insbesondere in höheren Schichten die Freiheit, als Mann sich mit Knaben zu vergnügen etc. Allerdings konnte solches Verhalten von bestimmten Personen oder Schichten auch als Zeichen von Dekadenz und Verfall der Sitten ausgelegt werden, ohne dass es je von Kirche oder Staat rechtlich verfolgt werden würde. Auch ist solche Pädasterie oder auch lesbische Liebe eher ein Phänomen der gebildeten Oberschicht oder auch bei Naturvölkern als bei Alrik Normalaventurier. Beispielsweise kam es vor, dass ein (nicht per se schwuler) männlicher Char das Lager mit einem feindlichen Heerführer teilte, um jenem auf erotischem Wege einige Geheimnisse zu entlocken.

    • Ich kann jetzt überhaupt nicht beurteilen, ob du das historisch irgendwie richtig abbildest, aber spannend finde ich die Idee alle Mal. Das macht die Welt jedenfalls sehr interessant! Und löst natürlich auch das Problem, dass sonst immer das eine Mädchen der Runde den Job hat, so an Informationen zu kommen…

    • In einem Thread zum Thema „Gleichberechtigung in Aventurien“ bin ich kürzlich auf einen wichtigen Aspekt gestoßen worden: es gibt in Aventurien keine Emanzipation, weil es von vornherein nie die Unterdrückungssituation gab, aus der sich die Frauen erst hätten befreien müssen. Dieser Gedanke lässt sich IMO direkt auf Homosexualität übertragen, weil es auch in dieser Hinsicht schon immer gesellschaftliche Strömungen (vor allem die Rahjakirche) gab, die für Sichtbarkeit und Akzeptanz sorgten. Insofern ist es völlig offen, welche Modelle der ausgelebten Homosexualität sich vor diesem Hintergrund entwickeln konnten.
      Ich hatte überlegt, im Artikel noch ein paar Sätze zum Thema „dynastische Gründe“ zu schreiben (also Heterosexualität, um Erben zu zeugen). Aber letztlich hätte ich auch dort wieder stark differenzieren müssen – denn in diesen Fällen hätte genauso Adoption (ggf. des nächsten Blutsverwandten, also Neffe oder Nichte) zu dynastisch akzeptablen Ergebnissen geführt.

      • Bei mir geht dynastische Gedanke ganz klar auch über Adoption – haben die Römer ja auch nicht anders gemacht. Traviabund genauso für Homosexuelle!
        Ein anderes Geschlecht zu spielen finde ich Unsinn (So schön wie in WdM beschrieben: Mannweiber und notgeile Huren, 47), aber Homosexuelle lieben genauso wie Heterosexuelle. Ich flirte oft mit weiblichen NSCs und selbst der Charakter meines Freundes hatte mal homosexuellen Sex, obwohl keine Ambitionen im Real life bestehen. Warum sollte die Community nicht reif sein? – Willkommen im 21. Jahrhundert.
        Mit der Emanzipation war eine sehr gute Überlegung, worüber man sich vorher keine Gedanken gemacht hat. Stimmt, Geschlecht und Sexualität ist im DSA-Universum kein Problem (Regionale Unterschiede, Frauen bei Andergastern, Orks und Novadis, ebenso Männer bei Amazonen und Araniern natürlich nicht vergessen….)

  8. Guter Artikel.
    Ich teile nur die Conclusio nicht, dass in Aventurien Homosexualität völlig problemlos sei. Selbstverständlich gibt es die Rahja-Kirche, aber es gibt ja ebenso eine Travia-Kirche, die in einigen Regionen der (Spiel-)Welt auch über nicht ganz unerheblichen Einfluss verfügt. Daneben gibt es schlicht dynastische Überlegungen: Auch in Aventurien ist Blut meist dicker als Wasser, zumeist wird über direkte Blutlinien vererbt. Da werden die Patriarchen/Matriarchen doch ein Interesse an Nachwuchs haben.
    Es kommt also auf viele Faktoren an, ob in einem Gebiet Homosexualität (gleichberechtigt?) akzeptiert wird. Dabei kann es zahlreiche Schattierungen geben, z.B. wird in mancher Region vielleicht Homosexualität zum Vergnügen akzeptiert, aber „bitte trotzdem den Traviabund eingehen und richtige Kinder zeugen“.

    Mir persönlich wäre bei der Darstellung von homosexuellen Charakteren (es gibt übrigens zahlreiche entsprechende offizielle NSC) vor allem wichtig, die entsprechenden Beziehungen und Menschen nicht auf ihre Sexualität zu beschränken. Und sie nicht darzustellen als wären sie den feuchten Träumen eines 14jährigen entsprungen – wobei man mit diesen Klischees auch spielen kann. Stichwort: Amazonen.

    • Gerade habe ich im Ulisses-Forum einen Thread zur Frage gleichgeschlechtlicher Traviabünde entdeckt. Darin wird eine Passage aus dem Travia-Vademecum zitiert: „Es gibt kein mir bekanntes heiliges Gesetz der Göttin, kein Wort eines Hohen Paares das solches ausdrücklich untersagen würde.“ – Mit anderen Worten: selbst die Travia-Kirche als Institution wendet sich nicht gegen solche Ehen.

Kommentare sind geschlossen.