Von Systemen und ihrer Lerndauer oder lasst Euch Zeit beim Kennenlernen

Heute ist alles so schnelllebig oder nicht?

Wenn ich mir in meinen Bekanntenkreis so einige Spieler ansehe, die von mir oder anderen Leuten mit dem Virus der vielen neuen Spiele infiziert wurden, dann sehe ich immer öfter Missmut und Systeme, die nach einem kurzen Test nicht weiter benutzt werden.

 

Schließlich will man die vielen tollen Spiele aus dem Regal ja auch mal spielen.

 

Dabei fällt mir immer deutlicher auf, dass die Leute zu einfachen Systemen tendieren oder einfach das Althergebrachte benutzen, weil sie es einfach gut kennen. Man weiß, wie man als Spieler oder Spielleiter mit den Schwächen umzugehen hat und die Gruppe hat einfach ihren Spaß.

 

Beim Testen von neuen Systemen wird dann schnell geurteilt, das dieses neue Ding nichts bringt.

 

Meine daraus folgende Erkenntnis ist eigentlich nicht sehr typisch für mich, denn ich empfehle den Mut zur Langsamkeit. Als ich mit dem Rollenspiel angefangen habe haben wir Mers, Rolemaster und D&D gehabt. Später sind AD&D, Shadowrun, Sturmbringer und Chultulu dazugekommen. Wir haben langsam gespielt, die ersten schlechten Runden überstanden und uns dann stück für Stück an die neuen Systeme gewöhnt.

 

Egal ob gut oder schlecht, es lief irgendwann und man hat den Stil gefunden, der zur Gruppe passte.

 

Diese Langsamkeit ist es, die ich Heute oft vermisse, das sich Zeit lassen und an ein System gewöhnen. Nach einem One Shot meint man, das System perfekt zu kennen und ein fertiges Urteil abgeben zu können. Dabei hilft oft nur langes Spielen um mit den Stärken und Schwächen eines Systemes zurecht zu kommen und mehrere Spieler die sich mit den Regeln befassen um es in seiner ganzen Tiefe kennen zu lernen.

 

Ein klassisches Beispiel ist die von mir lange betrauerte Artesia Runde mit MSch, Lord Verminard, Oliof, dem Jolly Orc und mir. Zum Anfang fand ich diese Runde echt schrecklich, ich bin nur wegen der netten Gespräche und MSch seinen Kochkünsten hingefahren, denn das Charakterspiel war eher rudimentär und ständig wurde zu allen möglichen Sachen in den Regeln geblättert. Nach 4 bis 5 Runden gab sich das Problem aber, wir waren besser mit den Regeln vertraut und konnten uns nach dem Kennenlernen der Mechanik emdlich dem Spiel widmen.

 

So wurde aus der Runde ganz großes Kino!

 

Es war eben diese Langsamkeit, das Zulassen von schlechten Runden und das Vertrauen in die Mitspieler, dass langfristig gesehen zu einer unglaublich guten Runde geführt hat. Fuzion ist nicht unbedingt regelarm und eine Sache wie die Entwicklung eines Charakters nach einem Life Path System hätte mich auch vorher nie aus den Socken gerissen, aber ich habe durch das Spielen mit diesem System so unglaublich viel über mich gelernt und neu dazu gelernt, dass ich diese Runde als Meilenstein in meiner Entwicklung als Spieler betrachte.

 

Im Gegensatz dazu sehe ich, wie ich bei meinem Fanboy System Reign bei jeder neuen und motivierten Gruppe die sich mit den Regeln beschäftigt etwas dazu lerne und Aspekte am Spiel entdecke, die mich noch mehr zum Fan machen. Dazu gehören auch Runden die ich gefühlt komplett in den Sand gesetzt habe und aus denen ich mir nur die Erfahrung mitnehmen konnte, wie ich es in Zukunft vielleicht besser mache.

 

Meine Mondmeer Kampagne hat mir ganz deutlich gezeigt, was Reign nicht kann und viel wichtiger, was ich als SL nicht kann oder wo ich drann arbeiten muss. Man kann als SL nach einer guten Kampagne mit einem System oft denken, jetzt habe ich es drauf und wird dann doch mal wieder Demut gelehrt.

 

Da habe ich also ein System, das ich seit knapp 3 Jahren leite und wo ich trotzdem andauern noch mal etwas neues lerne um in Zukunft noch besser damit zu werden. Wenn ich zum Anfang nach einer misslungenen Runde in Dortmund gesagt hätte: „Ich spiele jetzt etwas anders,“ dann wären mir zwei meiner besten Kampagnen aller Zeiten durch die Lappen gegangen und ich hätte nie gelernt wie mich ein bekanntes System immer wieder überraschen kann.

 

Und deshalb propagiere ich halt die Rückkehr der Langsamkeit. Lasst Euch beim Kennenlernen von neuen Spielen Zeit. Probiert sie lange und regelmäßig aus um zu sehen, wie sie sich entwickeln, während Euer Spiel in ihnen besser wird. Und vor allem lasst die Spieler mit dem Werk arbeiten und Euch damit helfen, das System besser kennen zu lernen.

 

Natürlich ist es einfacher, ein Indie zu spielen und damit viel Spaß zu haben. Besonders auf Cons oder anderen Treffen mit Rollenspielern kann man durch ihren einfachen Aufbau und die klaren Konzepte schnell mit Leuten die sie kaum kennen Spaß haben.

 

Für komplexe Kampagnen und eine langfristige Entwicklung braucht es meiner Meinung nach viele Regeln und die Möglichkeit einen Charakter über lange Zeiträume zu entwickeln.

 

Ich glaube es war Xemides, der einmal zu mir sagte, dass er mit Systemen wie Savage Worlds nichts anfangen könne, weil ihr Entwicklungshorizont so begrenzt wäre. Er würde beim Rollenspiel halt in Jahren denken und die Spieler müssten sich in diesen Jahren nicht nur mit ihren Charakteren zu wachsen, sondern auch die Möglichkeit haben, die Figuren bestätig weiter zu entwickeln und dazu bräuchte es nun einmal komplexe Regeln.

So ist das nun mal, wenn man nach den Regeln spielt. Erzählonkel haben das Prtoblem nicht.

Ich habe ihm oder wer auch immer das zu mir gesagt hat damals Recht gegeben, aber wie wahr diese Aussage ist hat sich mir erst in den letzten Wochen offenbart. Alle wirklich guten Kampagnen an die ich mich erinnere waren mit komplexen Systemen und bei vielen Kampagnen sind wir mit einem schlechten Gefühl in die Welt oder Regeln gestartet. Die SR-Regeln der ersten Edition oder Earth Dawn waren wirklich keine leichte Kost und dennoch habe ich mit eben diesen Regelwerken über wirklich lange Zeiträume so verflucht viel Spaß gehabt.

 

Weil ich nicht aufgegeben habe oder besser gesagt wir wir als Gruppe nicht aufgegeben haben!

 

Also sehe ich weiter in die Zukunft und denke, was ich denn als nächstes Spielen könnte. Ich glaube Burning Weel wäre fein, den da kann man wohl so wirklich lange spielen und sich immer noch weiter entwickeln.

 

Aber erst mal will ich wirklich gut in Reign werden und deshalb lese ich das Regelwerk zum gefühlten 13 mal und entdecke dennoch neue tolle Dinge.

 

Also auf eine gute Zukunft und auf die Ausdauer neue Sachen nicht einfach auf die Halde zu werfen, wenn sie mal nicht auf Anhieb funktionieren.

Dieskussion hier oder auf dem RSP-Blogs Forum

2 Gedanken zu „Von Systemen und ihrer Lerndauer oder lasst Euch Zeit beim Kennenlernen

  1. Warum siehst du einfachen Einstieg und komplexe Regeln als Gegensatz?

    Wir verwenden mit dem 1w6-System sehr einfache Grundregeln (inzwischen auf 5000 Zeichen komprimierbar) und greifen für komplexere Regeln meist einfach auf Gurps zurück – allerdings erst, wenn wir sie brauchen.

    Was ich allerdings aus vielen Runden in eigenen Welten schließe ist, dass ein komplexer Hintergrund große Vorteile bieten kann. Die Tiefe von Shadowrun-Runden erreichen wir in eigenen Welten über viel stärkere Charakterzentrierung, aber die wäre natürlich auch in SR möglich, so dass wir von den Geschichten her nicht das absolute Maximum herausholen, das unsere *Gruppe* erreichen könnte.

    Ein Regelwerk, das einen komplexen Hintergrund abbildet, muss aber ausreichend Komplexität integrieren können, um die aktiv bespielten Teile des Hintergrundes darstellen zu können.

    Daher möchte ich Regeln, die für bestimmte Einstiegspunkte minimiert werden und dann mit den gespielten Kampagnen erweitert werden. Das Gesamtregelwerk muss ausreichend Komplexität haben, um die ganze Welt darstellen zu können. Bei dem Einstieg in eine Anfängerkampagne sollten aber nur wenige Regelteile notwendig sein.

    Wichtige Unterscheidung: Anfängerkampagne (wir kennen die Welt noch nicht) vs. Kampagnenideen (beliebige Charaktere aus der gesamten Welt und die gesamten Regeln).

    Bei vielen Indies sehe ich nur den Anfängerteil, aber nicht die Option, komplexer zu spielen. Bei komplexen Rollenspielen gerade das Gegenteil: Es fehlt eine Reduktion zum einfachen Einstieg.

    Themenregeln für Einsteigerkampagnen.

    PS: Ist es taktisch unklug, dass ich Tipps für andere Regelwerke gebe, obwohl ich mir eigentlich wünschen würde, dass mehr Leute das 1w6-System nutzen, wo ich genau die Tipps verwende?

  2. Guter Beitrag, ebenso Draks Kommentar. Gerade die Passage „Ein Regelwerk, das einen komplexen Hintergrund abbildet, muss aber ausreichend Komplexität integrieren können, um die aktiv bespielten Teile des Hintergrundes darstellen zu können.“ hat es mir angetan.
    Ansonsten habe ich zugegebenermaßen zum Teil andere Erfahrungen gemacht, Rolemaster z.B. habe ich über eine ganze Kampagne gespielt und bin nicht damit warm geworden… ist aber vielleicht auch ein schlechtes Beispiel.
    Aber die Grundaussage ist sehr richtig. Die „Entdeckung der Langsamkeit“ sollte auch wieder in die Rollenspielermentalität Einzug halten und ich persönlich hätte nichts dagegen, wenn die Szene etwas weg vom Hype um So-Simpel-Wie-MöglichIndie- und One-Shot-Systeme käme…

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