Zornhau hat einen länglichen, gleichwohl verdienstvollen Artikel über die verschiedenen Tatsachen geschrieben, die am Spieltisch gelten können. Ich hab mir derweil noch ein paar Gedanken dazu gemacht, auch inspiriert von der Diskussion im Rsp-Blogs Forum, dort insbesondere die Beiträge von Teylen und Coldwyn.
Aufbauend auf Zornhau und den genannten Posts würde ich zwischen folgenden Fakten differenzieren (Beispiele beziehen sich auf den Roman „Die drei Musketiere“ von Alexandre Dumas):
- Genrekonvention: Mit Genrekonvention meine ich bestimmte Verhaltensmuster, die genretypisch sind. So werden Helden, die sich ergeben, in einer im Swashbuckling-Genre angesiedelten Geschichte nicht getötet, sondern nur eingesperrt. Das kann auch mal ausnahmsweise anders sein, aber regelmäßig gelten solche Konventionen. (Genre: Swashbuckling)
- Settingfakt: Ein Settingfakt ist gegenüber der Genrekonvention deutlich konkreter und kann auch gegen Genrekonventionen verstoßen. Es entstammt einer Spielweltbeschreibung, die öffentlich zugänglich ist, etwa einem Rollenspiel-Regelwerk oder einem Roman. Beispiel: Der Marquis de Sutri schneidet (anders als alle anderen) seinen Gegnern immer sofort die Kehle durch. Den Marquis gibt es nicht in jeder Swashbucklinggeschichte, sondern nur in der konkreten Spielwelt. Ein anderes Beispiel wären funktionsfähige Zeppeline, die in einer sonst auf dem Jahr 1640 basierenden Spielwelt vorkommen. (Setting: Die drei Musketiere/Swashbucklers of the 7 Skies)
- Etablierter Fakt: Ein (bereits) etablierter Fakt ist ein solcher, der an dem konkreten Spieltisch schon einmal vor kam. Es ist dabei nicht wichtig, ob die Idee dazu vom Spieler oder Spielleiter kam, wichtig ist nur, dass dieses Faktum schon einmal im Spiel als wahr galt. Beispiel: Der Marquis de Sutri hat einen unehelichen Sohn; das Gasgemisch in einem Zeppelin ist brennbar. Etablierte Fakten gelten fortan, sie können andere, dazu nicht logisch passende Fakten verhindern. (Konkrete Spielrunde unter der Leitung von X, mit den Spielern A-D)
- Geplanter Fakt: Geplante Fakten existieren bisher nur in der Vorstellung des Spielleiters. Beispiel: Der Mörder des Königs wurde von dem Marquis de Sutri beauftragt. Davon weiß – außer dem SL – noch niemand. Sobald der Fakt etabliert wird, handelt es sich um einen etablierten Fakt. Er darf keinesfalls gegen bereits etablierte Fakten verstoßen. (Pläne von X)
Das Verhältnis von etablierten Fakten und Settingfakten
Wenn ich Zornhau richtig verstehe, geht er davon aus, dass die letzten beiden Typen (geplanter und etablierter Fakt) die wichtigen Fakten sind, und er plädiert für eine Vernachlässigung der Settingfakten. Eine verständliche Haltung, wenn man von sich entwickelnden Spielwelten ausgeht: Als Beispiel möge DSA dienen. Die dort stets weiterentwickelte Zeitlinie (Metaplot) erfordert das Überleben bestimmter Personen und die Erhaltung des Status Quo. Um ein krudes Beispiel zu wählen: Wenn im Spiel der Kaiser stirbt (etablierter Fakt) , kann eine neue Publikation des Verlages nicht mehr gelten, die sein weiteres Regierungshandeln darstellt. Viele Spielleiter nehmen sich daher sehr zurück und erlauben nichts, was die Fortführung des „offiziellen“ Metaplots für ihre Spielrunde gefährden würde. Daher:
Variante 1: Settingfakten sind etablierte Fakten.
Dafür spricht, dass ich – in meiner Rolle als Spieler – erwarte, dass die mir zugänglichen Publikationen zu einem Rollenspiel auch gelten. Würde ich zu einer Runde DSA eingeladen, impliziert „DSA“ für mich, dass alle offiziellen Texte auch gelten. Settingfakten sind also sehr wichtig in der Außendarstellung; selten sieht man: „Wir spielen DSA, es gelten die vor dem 1.4.2007 veröffentlichten Settinginformationen.“
Das von Zornhau aufgestellte Postulat lautet aber:
Variante 2: Settingfakten sind erst dann etablierte Fakten, wenn der SL sie in das Spiel einführt und damit etabliert.
In dieser Varianten verlieren Produkte des Verlages ihre kanondefinierende Funktion, werden zum Ideensteinbruch des Spielleiters. Als Spieler werden dieses Informationen nicht mehr nutzbar, da ihre Wahrheit in Frage steht. Problematisch ist das vor allem für Spieler, die gerne taktisch denken. Beispiel: „Der bester Zauber, den der Gegner haben kann, macht höchstens 60 Punkte schaden. Ich habe 62 Lebenspunkte, kann also riskieren, dass er einen Zauber gegen mich verwendet und ich ihn dann mit dem Schwert angreifen kann.“ Diese Information über die „Physik“ der Welt wird unscharf, wenn der SL aus dem „Steinbruch der Verlagsinformationen“ plötzlich einen neuen Zauber etablieren kann (der mehr Schaden macht). Anderen Spielertypen wird das egal sein, der Taktiker aber verliert seine Fähigkeit, die optimale Taktik zu ermitteln – und damit einen Teil seines Spielspaßes.
Bei abgeschlossenen Spielen (also den zahlreichen Spielen/Spielwelten, die von Anfang an auf nur eine abgeschlossene Zahl von Büchern ausgelegt waren) würde ich daher – anders als Zornhau – Variante 1 deutlich bevorzugen. Es ist für Spieler ein gewisses Maß an Macht und Spielspaß, die Welt gut zu kennen. Es erlaubt ihnen auch, auf die Spielwelt zu referenzieren und sie in ihre Pläne einfließen zu lassen: „Die Nomadenvölker sind sehr gastfreundlich, mein Plan basiert darauf, zunächst als Gast eingeladen zu werden, bevor wir…“
In einer Welt mit sich weiterentwickelndem Metaplot habe ich nie gerne gespielt. Hier teile ich Zornhaus Ansicht: Man muss von dem Kanon irgendwo bewusst abzweigen, um in der Spielwelt die Dinge tun zu können, die man tun möchte – ohne Rücksicht darauf, ob ein Autor anderswo bereits geplante Fakten vorhält, gegen die man verstößt. Persönlich würde ich dann aber eine Alles-oder-Nichts Haltung gegenüber weiteren Verlagspublikationen bevorzugen.
Diskussionen gerne hier in den Kommentaren oder im Rsp-Blogs.de Forum.
Du schriebst:
„Das von Zornhau aufgestellte Postulat lautet aber:
Variante 2: Settingfakten sind erst dann etablierte Fakten, wenn der SL sie in das Spiel einführt und damit etabliert.“
Damit hast Du die Darlegung aus meinem Blog-Artikel zu Fakten leider NICHT korrekt wiedergegeben. Sogar eher in eine beinahe GEGENTEILIGE Position verkehrt!
Mehr dazu im Forum (wenn ich etwas mehr zeitliche Luft habe).
Schöne Zusammenfassung; über Zornhaus Blog gedachten wir auch demnächst eine Folge zu machen, speziell auf das Problem der Settingfakten bei DSA bezogen, denn diese, in der bekannten Dichte vorhanden, nehmen auch „wir DSA-Spieler“ durchaus nicht alle als gottgegeben und in jedem Fall sinnvoll hin…