Monsterhearts Rezi

Ich habe zu Weihnachten von meiner Freundin das Rollenspiel „Monsterhearts“ geschenkt bekommen – Zeit, hier eine kleine Rezi zu veröffentlichen:

 Monsterhearts ist großartig!

Okay, das ging jetzt vermutlich ein bisschen zu schnell für eine Rezension, oder? Ich gebe euch daher dazu noch ein paar Details. Monsterhearts ist ein Rollenspiel, bei dem es um Sexualität geht. Es ist damit offiziell kein „einfaches“ Rollenspiel, sondern vielleicht etwas für den „reiferen Spieler“.

Hintergrund ist ein High­School Setting nach Art von Buffy, bei der die Protagonisten in der Regel Monster sind. Vampire, Werwölfe, Geister, etc. Aber warum spielt man Monster, wenn es doch um Sexualität geht? Weil Sexualität hier nicht für Pornografie oder Romantik steht, sondern für den Umgang von Teenagern mit ihren Hormonen, mit denen sie in der Pubertät erstmals konfrontiert werden. Und wie alle Eltern bezeugen können, werden in dieser Zeit aus ihren süßen Kindern eben Monster.

Monsterhearts RPG, 1st edition, Buried Without Ceremony

Zudem werden sich die Teenager auch sich selbst fremd, wenn die Hormone in ihnen neue, gewaltige Bedürfnisse, aber auch Fähigkeiten wecken. Die Monster dienen dazu, diese Bedürfnisse und Fähigkeiten übersteigert darzustellen ­ ob nun die Adjektive „gewalttätig“, „verführerisch“, „schön“, „stark“ oder „rätselhaft“ lauten, jedes beschreibt einen Aspekt der Sexualität und kann einem Monster zugeordnet werden.

Ein anderer wichtiger Aspekt dieser Zeit (und damit auch des Spiels) ist die Einordnung in die Gruppe. Gehört man „dazu“? Oder ist man ein Looser? Verbringt man die große Pause im Müllcontainer der Schule oder darf man mit den coolen Leuten auf der Schultoilette rauchen?

Das Spiel hat dafür fantastische Mechanismen, um genau diese Themen nicht nur zu adressieren, sondern zu relevanten Schwerpunkten des Spiels zu machen. Dies erreicht es über zwei Methoden:

Die eine ist eine „soziale Währung“, Strings genannt. Sie verkörpert auf sehr abstrakter Ebene die Macht, die man über eine andere Figur hat. Ein Geheimnis zu kennen, jemand in einer demütigenden Situation gesehen zu haben, unbedachtes Bettgeflüster. Mit Hilfe der Strings kann ich das Verhalten anderer beeinflussen, entweder indem ich Ihnen ein Geschäft anbiete, oder in dem ich Würfelwürfe damit beeinflusse.

Die andere Methode sind die Moves, die das Spiel auszeichnen, insbesondere die Sexmoves. Abhängig davon, ob man nun einen Geist oder einen Werwolf spielt, hat man sehr unterschiedliche Moves, und auch die Sexmoves unterscheiden sich. Aber alle Moves – sowohl die, die einer Charakterklasse zugeordnet sind als auch die, die jedem zur Verfügung stehen – adressieren Konflikte. Es geht hier nicht um Fallensuchen oder Schlösseröffnen, Stärkeproben oder Angriffsmodifikatoren, sondern um emotionale und manchmal körperliche Bedürfnisse und um ebenfalls emotionale und manchmal körperliche Gewalt.

Das Spiel kann sich darum drehen, wie man mit einem begehrenswerten Vampir verfährt – oder wer mit wem zum Abschlussball geht. Da werden Lehrer für eine gute Note verführt und dunkle Mächte damit befriedigt, eine unschuldige Seele zu einem Mord zu verführen.

Ich war (für mich ziemlich ungewohnt) ziemlich nervös vor dem Spiel. Ich kannte meine drei weiblichen Spieler noch nicht besonders gut (die beiden männlichen Spieler hingegen, darunter JollyOrc, würden auf jeden Fall rocken). Ich hatte Angst, dass das Spiel peinlich werden könnte, Traumata aufreißt oder ich hinterher als sexistischer Verbalvoyeur darstehen würde. Aber meine Spieler (und Spielerinnen) haben zu dem Spiel gefunden wie die Enten zum Wasser – ganz großes Kino. Die SL-Moves des Spiels sind eine tolle Anleitung zum Spielleiten und haben immer Öl ins Feuer gegossen, die Gruppe ist dahin gegangen, wo es wehtat und wollte ganz offensichtlich die Sexmoves ausprobieren. Das Spiel hat gerockt, und daher gibt es von mir eine ganz klare Kaufempfehlung.

Coole Locations 3

  1. In einer „verlassenenen“ Irrenanstalt
  2. In einem schon ausgeräumten Dungeon
  3. In einer Sauna, die sich als Tarnadresse des Geheimdienstes entpuppt.
  4. Im Schlafzimmer der Eltern eines der PCs (mit schönen Gruß an Nerd-Wiki)
  5. Unter der Veranda des schießwütigen Texaners
  6. Im Kinderzimmer

Logo_RSPKarneval_500pxDies ist ein Beitrag zum Rollenspielkarneval „Orte und Locations„. Forumbeitrag.

FATE Core Setting Challenge: OktoberVest

Der stets umtriebige Dominik (der vom Rollenspiel-Almanach) hat mich in einem schwachen Moment für seine Setting-Jury schanghait. Ich soll also die Settings bewerten, die im Rahmen des Wettbewerbs eingereicht wurden, den Dominik mit dem Tanelorn und dem Uhrwerk-Verlag sowie dem Sphärenmeister veranstaltet. Und das ging so: Die besten Settings werden in einem Settingband abgedruckt, den der Uhrwerk Verlag heraus gibt. Der Verlag zahlt an die von uns gewählten Sieger 300, 200 und 100 € (Platz 1-3), jeder weitere, abgedruckte, Beitrag mit 50 € honoriert. Der Wettbewerb steht unter dem Thema „Deutschland“

Aber das heißt nicht nur, dass die Jurymitglieder eine Stimme haben, nein, es gabt auch einen Publikumspreis!  Einen Download aller Einreichungen gibt es auch. Wie die Entscheidung von uns Jurymitgliedern aussieht (und wer die Publikumsabstimmung gewonnen hat), hat Dominik inzwischen auf faterpg.de veröffentlicht.

In der Folge werde ich die Settings vorstellen und erklären, was ich positiv und/oder negativ bewertet habe. Inzwischen ist die Challenge ja vorbei (das ist Absicht, damit meine Beiträge die anderen Jurymitglieder und das Abstimmungsverhalten beim Publikumspreis nicht beeinflussen können) und ich muss sagen, dass ich erheblich beeindruckt bin. Die Einreichungen sind m.E. von weit überdurchschnittlicher Qualität und ich bin generell begeistert. Das stelle ich ganz bewusst vorab – wenn ich im folgenden an einem Beitrag herumkrittle, dann ist das immer unter diesem Vorzeichen zu sehen – ich soll ja meine Favoriten bestimmen. Dazu hat sich die Jury selbst darauf festgelegt, die Kategorien „Regeltechnische Umsetzung“, „Inhaltliche Umsetzung“, „Sprachliche Umsetzung“ und „Wettbewerbsbedingungen“ zu bepunkten.

OktoberVest – Münchener Urban Fantasy von Ben „BeePeeGee“ Pelling

Zum Download

Kurze Beschreibung

München als Ort für ein Urban Fantasy Game mit Vampiren, Werwölfen, Magiern, Druiden und Hexen.

Regeltechnische Umsetzung

Das Setting hat zwei regelmechanisch besondere Schwerpunkte. Zum einen ist das die Magie, zum anderen die sog. Beziehungsaspekte.

Die Magie ist als solche für meinen Geschmack nur sehr vage definiert. Zwar werden auf mehreren Seiten Beispiele für Magie (jeweils als Aktion „Überwinden“, „Vorteil erschaffen“, „Angreifen“ und „Verteidigen“ beschrieben, aber unter welchen Voraussetzungen ein Zauber nun genau gewirkt werden kann bleibt unklar. Mal scheint eine einzelne Probe ausreichend zu sein, mal mehrere Würfe im Rahmen einer Herausforderung, mal muss ein Stunt her oder gar einen Fatepunkt (plus das Erstgeborene). Hier werden praktisch alle Möglichkeiten aufgezählt, die das Fate Regelwerk so anbietet, ohne das man als Spieler oder SL nun auch nur eine Richtlinie hätte, was ein Magier nun so können sollte. Sollen Magier nun „Dresden-like“ Feuerbälle werfen können, oder sind sie eher wie Gandalf – oder gar Raistlin? Ich weiß es nicht.

Die Beziehungsaspekte hingegen erscheinen mir als eine gelungene – wenn auch aufwändige – Umsetzung der Münchener Verhältnisse. Eine Schattenseite des ganzen ist, dass die Spieler zusätzliche Aspekte erhalten (während die Fate-Regeln in jeder Iteration seit Spirit of the Century die Zahl der Aspekte verringern), die auf ihre Beziehungen untereinander spezialisiert sind. Das mag ich, weil Beziehungen (Spezl) in München nun wirklich wichtig sind. Unklar bleibt mir, mit wievielen freien Verwendungen ein Charakter nun genau startet, aber das „Infragestellen“ einer Beziehung ist einfach super. Aspekte mit „Tilt“ (wie die Keys von Shadow of Yesterday) sind etwas tolles!

Inhaltliche Umsetzung

Hier kann ich bewerten, ob ein Setting orginell ist, ob es gut umgesetzt wurde, aber auch ob ich finde, was ich zum spielen benötige. In Sachen Originalität gibt es volle Punkte – ich finde das Setting München großartig, und die besondere Mischung von Spezltum, Wohlstand, Bier und Trachtenspießigkeit ist hervorragend umgesetzt. Zum Spielen wird mir wirklich alles an die Hand gegeben, die liebevoll ausgearbeiteten Fraktionen, eine Beziehungs-Karte, vorgefertigte Konflikte – toll. Unklar bleibt mir lediglich, warum die äußere Bedrohung gerade durch Vampire aus Wien kommen soll. Das Thema: „Deutschland“ ist damit verfehlt, die klassischen „Saupreißen“ wären vielleicht naheliegender gewesen.

Sprachliche Umsetzung

Hier gibt es kaum etwas zu mäkeln. Besser hätte man es vielleicht machen können, indem man in die Texte gemäßigten bayerischen Akzent einfließen lässt. Aber das muss man können, damit es nicht albern wirkt. Ich könnte es trotz meiner 2,5 Jahre in München nicht…

Wettbewerbsbedingungen

Hier bin ich etwas gespalten. Einerseits waren Settings gefordert, ein beträchtlicher Teil dieser Einreichung ist aber ein Abenteuer, das als One-Shot oder Kampagneneinstieg gespielt werden kann. Es kommt mit ausgearbeiteten Charakteren für die Spieler, die hervorragend in die Fraktionen eingebunden sind und als Beispiele für die Besonderheit „Beziehungsaspekte“ dienen. Zudem enthält das Abenteuer in seinen Szenen noch reichlich „Settingmaterial“ – alles sehr gut gemacht, aber ist das nicht schon „Thema verfehlt?“ Man könnte die Einreichung auch als Abenteuer mit Settinginformationsteil empfinden – vom textlichen Schwerpunkt her wäre das leicht zu rechtfertigen. Hier droht also eine erhebliche Abwertung. Andererseits ist das Abenteuer sinnvoll und sehr schön auf das Setting zugeschnitten und überhaupt gelungen; das Problem hat nicht nur Oktobervest. Letztlich habe ich mich hier gegen Punktabzug entschieden, andere Jurymitglieder haben das wohl strenger gesehen.

Wo wir gerade beim Abenteuer sind: Sehr gut hat mir gefallen, das jede beschriebene Szene einen kurzen Satz zum Ziel der Szene hatte. Das wünsche ich mir auch anderswo.

Ich werde in (sehr) loser Folge auch die anderen Einreichungen noch kommentieren. Solche Beiträge zu verfassen ist ziemlich aufwändig… Jedenfalls erstmal vielen Dank für Oktobervest!

Karneval der Rollenspielblogs: Orte und Locations

Logo_RSPKarneval_500pxIch richte diesem Monat den Karneval der Rollenspiele zum Thema „Orte / Locations“ aus. Und dabei ist es meine Aufgabe, euch Anregungen dazu zu geben, was man zu diesem Thema so schreiben kann.

Und wie alle, die einen Karneval veranstalten, tue ich das nicht selbstlos – ich möchte etwas von euch. Und zwar Orte fürs Rollenspiel, die wir alle benutzen können.

Im knappsten Fall kann man also schon eine kleine Liste für den (w6) veröffentlichen und mitmachen:

  1. Eine Brücke über den Abgrund
  2. Ein Büro in der Hölle
  3. Oben auf einem Zeppelin
  4. In einem Landkreuzer
  5. In der Garage des dritten königlichen Dampf-Mecharegiments
  6. In der Höhle des Drachens

Was natürlich auch geht ist eine detaillierte Ausarbeitung eines oder mehrerer Orte (so ein bisschen wie „Schnutenbach“).  Oder man zeichnet einen Dungeon. Karten sind auch toll (wie Greifenklaue völlig zur Recht anmerkt). Aber am liebsten sind mir die Listen – und die sind wenig Arbeit. Also bitte – vielleicht geht ja ein zweiter Artikel mit 1w6 interessanten Orten?

In diesem Karneval habe ich schon folgende Artikel gefunden:

Rezension: Tharun – Die Welt der Schwertmeister

Dies dürfte wohl die erste Rezension eines DSA-Produkts auf diesen Seiten sein ;) – aber auch wenn ich seit Ende der 80er Jahre kein DSA-Spieler (mehr) bin, so lässt Aventurien weder meinen Mitblogger Jörg noch mich so richtig los – auch wenn wir eher selten nach DSA-Regeln spielen wollen. Jörg hat es mit Reign probiert und bei Ralfs D&D4-Aventurienrunde mitgespielt, aber auch tapfer DSA4.1 (als Vertretungs-SL äh -meister) geleitet. Ich habe mir ziemliche umfängliche Gedanken über eine Umsetzung Aventurischer Magie in FATE gemacht (aber die Konvertierung halte ich nach einigem Ausprobieren für nicht sehr gelungen) und mir die Frage gestellt, warum wohl jemand gerne Zuckerbäcker spielt. DSA lässt uns hier nicht los. Wie auch – es ist das deutsche Rollenspiel, mit dem wir alle groß geworden sind.

Jetzt kommt der Uhrwerk Verlag mit dem regelfreien Tharun-Weltenband um die Ecke, und ich konnte SilentPat in einem schwachen Moment ein Rezensionsexemplar abschwatzen. Warum ich hier auf einmal DSA-Material rezensieren will? Weil das Cover rockt. Wenn mir jemals ein Cover ein Rollenspielbuch verheißungsvoll erscheinen ließ, dann dieses! Ein insektenreitender Samurai gegen ein krasses doppelköpfiges, feuerspeiendes, vielarmiges Monster – das muss doch rocken, oder?

Aussehen

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Also jedenfalls erstmal Glückwunsch an Marcus Koch, der die Coverillu gestaltet hat.

Überhaupt können die Illustrationen auch im Buch so richtig was. Mia Steingräber, Björn Lensig und Eva Dünzinger haben da ordentliche Arbeit geleistet. Tatsächlich sind viele der Illustrationen sogar richtig wichtig, um Beschreibungen, die sonst leicht etwas albernen wirken könnten (wie z.B. die Schildkrötenkavallerie) aufzupeppen. Wenn man die Zeichnung gesehen hat, hört man auf zu kichern und denkst sich… eigentlich eine krasse Idee.

Vermutlich von Björn Lensig - die Schildkrötenkavallerie.

Vermutlich von Björn Lensig – die Schildkrötenkavallerie.

Die Buch ist ein solides Hardcover mit Lesebändchen und allem Schnickschnack, innen schwarz/weiß, die beiliegende Karte bunt, aber nicht besonders stabil oder auch nur abwischbar. Auf den Spieltisch möchte man die eher nicht legen müssen, dass hält sie wohl nicht lange aus.

Innen dominiert Text. Viel Text. Echt viel Text.

RIchtig viel Text.

RIchtig viel Text.

Ich habe im Rahmen dieser Rezension auch noch mal einen Blick in die alten Schwertmeisterboxen geworfen und mir angesehen, was Hadmar damals so beschrieben hat. Man, war das wenig. Und pfui, Hadmar, du bist ein Würfeldreher (gewesen)!

Der Text im neuen Tharun baut auf Hadmars Tharun auf – manchmal bis hin zu identischen Textblöcken. Aber während die Schwertmeisterboxen unvollendet sind (es waren noch mindestens zwei Abenteuer für Tharun geplant) und nur eine einzige Insel beschrieben wird, ist der neue Tharunband ein vollständiger Weltenband. Alle Reiche Tharuns, die von Hadmar mit kaum mehr als einem Namen ausgestattet wurden, sind jetzt beschrieben, die Götterwelt aufgedröselt worden und so allerhand hinzuerfunden worden.

Was ist neu?

Und ist es gelungen? Im Großen und Ganzen ja. Zum Teil haben sich die Autoren beträchtliche Freiheiten genommen, die für die Langzeitspielbarkeit durchaus wichtig sind, etwa die Frauenrolle betreffend. Hadmars Originaltharun sollte die Welt für eine Kampagne sein, bei der man die Gesellschaftsordnung und vermutlich auch die Götter Tharuns umstürzt und aventurische Verhältnisse einführt. Deshalb war Hadmars Welt bewusst „unspielbar“, man sollte die Verhältnisse dort ändern wollen: Restriktives Kastensystem, brutale und fiese Götter, völlig unterdrückte Frauen und Bauern. Da muss ein aufrechter Held doch gegen ins Feld ziehen! Umgekehrt stehen oben im tharunischen System die außerordentlich kampfstarken Schwertmeister und gewaltige Runenmagier, dazu gibt es heftige Monster – eben alles, was ein hochstufiger Abenteurer als Herausforderung so braucht, wenn Aventurien keine angemessenen Gefahren mehr bereit hält. Das neue Tharun soll aber eine langfristig bespielbare Welt sein, die nicht notwendigerweise vernichtet werden muss. Also braucht es eine Lockerung dieser „Hindernisse“. Das sind die Autoren sehr moderat angegangen, in dem sie einige der bisher nicht beschriebenen Reiche „liberaler“ gestaltet haben und auch in den Pantheon clevere Abenteuersamen gelegt haben. Letztlich haben sie auch noch einige Änderungen vorgenommen, die dafür sorgen, dass keine Logikbrüche zum heutigen Aventurien vorhanden sind.

Inhalt

Was hab ich also jetzt, nach vollständiger Lektüre dieses Werkes, erfahren?

  • Wie komme ich nach Tharun? Knapp gehalten, voller Abenteuerideen.
  • Blick auf Tharun: Obwohl nur 4 Seiten verwendet werden, ist der Abschitt zu lang für meinen Geschmack, zu viel Fülltext – zudem wird alles später wiederholt. Wenn mich das neugierig machen sollte, hat es nicht geklappt.
  • Geschichte & Mythologie: Gelungene Anpassung, tolle Ideen.
  • Giganten: Eigentlich wirklich wichtig für Tharun, ließ mich aber völlig im Unklaren, wie die Autoren sich die Giganten vorstellen und wie die Spieler mit ihnen interagieren können.
  • Gesellschaft: Stolze 64 Seiten sind zu viel Text. Vor allem da es sich um Generalisierungen handelt, die dann später für die einzelnen Reiche wieder angepasst werden müssen.
  • Götter: noch mal 38 Seiten… hier wurde ich jetzt echt ungeduldig. Für DSA-gewöhnte Leser mag das alles gehen, aber meine Lesegewohnheiten befriedigt das nicht. Außerdem hab ich seit ca. 100 Seiten keine Abenteueridee mehr gesehen, dafür habe ich eine ganze Tüte M&Ms als Stärkung benötigt.
  • Die neun Reiche: 114 Seiten stellen den Schwerpunkt da. Hier bin ich deutlich am zerrissensten, wie ich das finden soll. Einerseits ist wirklich viel Tolles in den Texten enthalten, die unterschiedlichen Reiche machen Spaß zu spielen, Abenteuerideen kommen hier in 3er Reihen im Stechschritt vorbeiparadiert. Trotzdem… ich habs nicht so richtig gerne gelesen. Ein Beispiel:

    Athyaka ist wie Thessara ein einzelnes Eiland, dessen Inselherrscher Jurst Hamos den Rang eines Samakai innehat. […] die Laichgründe einiger der mächtigsten Diener Numinorus gelten und der Schiffsverkehr hier ohne die Azarai des Unergründlichen kaum vonstattengehen könnte. (S. 182)

    Echt jetzt? Die Insel ist also von fiesen Seemonstern umgeben und wird von einem Runenmagier namens Jurst Hamos beherrscht. Eigentlich geil. Aber in diesem Stil schwer zu lesen. Überhaupt wirkt das Buch da etwas gewollt. Manchmal wird als Fluff ein in-game Text in Kursiv vorangestellt, der die Haltung und Wahrnehmung der Tharuner oder Aventurier beschreibt. Das ist nichts neues und auch gut so. Aber warum muss dann der eigentliche Text auch noch so gestelzt wirken? Kann man nicht Seemonster sagen? „Diener Numinorus“ (des Meergottes) ist doch eigentlich in-game Sprachduktus – was hat der hier zu suchen? Auch sonst wird gerne mal von „leblosen Wüsteneien“ gesprochen, um abgeholzte Insel zu beschreiben. Das wurde mit jeder Seite anstrengender zu lesen. Und dieser langatmige, ausschweifende und mit vielen inhaltslosen Füllwortern gefüllte Text macht genau das Gegenteil von dem, was das Setting ausmachen sollte – er lähmt, statt laut, grell und schnell zu sein.

  • Tiefere Mysterien Tharuns: Praktisch ein SL-Teil, aus dem ich nicht spoilern will. Alles was hier steht ist Kampagnengold. Einziger Kritikpunkt sind die Erklärung der „Schatten“, die mysteriösen Assassinen Tharuns, wo die (eigentlich motivierende) Frauenfeindlichkeit des Settings dann doch etwas widerliche Blüten treibt.
  • Appendix N: Es folgt noch eine lange Liste von Büchern, Comics und Filmen, die als Inspirationen herhalten können. So was mag ich.

Spielbarkeit

Das Buch kommt ohne Regeln daher. Das ist einerseits gut, andererseits aber auch etwas sonderbar. Wer Tharun nicht schon kennt, wird in vielen Punkten völlig im Stich gelassen. So werden etwa die Waffenbezeichnungen „Langholz“, „Spälter“, „Schwinge“ aus den Tharunboxen verwendet, ohne diese zu erläutern oder zu bebildern. Wer nicht weiß, dass eine Schwinge eine Art Katana ist, der steht dann doof da. Gleiches gilt natürlich auch für Rüstungen. Auch Monster werden nur benannt. Das kann selbsterklärend sein, wie z.B. ein Riesenskorpion, auf dem man reiten kann, aber was ein Lykhora oder ein Diwen-Rudel ist, kann man sich nicht so einfach herleiten (allerdings hilft bei Problemen mit Flora und Fauna ein Blick ins oft hilfreiche, aber kaum bebilderte Raksharzar-Wiki) – oder eben die alten Schwertmeisterboxen, wo natürlich auch die Waffen und Rüstungen erklärt werden.

Fazit:

Ein krasses, dreckiges Sword&Sorcery-Setting mit kranken Details, extra-fiesen Monstern und Gefahren an allen Ecken und Enden. Voller Sex (wenn man im richtigen Archipel ist), Schätzen, Geheimnissen, Intrigen, Ruhm und plötzlichem Tod. Allerdings hätten dem Text zwei brutale Kürzungsdurchläufe gut getan, und dazu ein sehr viel pointierterer, lauterer und bunterer Schreibstil. Das ganze Setting schreit so laut „Attacke!“, so sehr nach Conan, da kann man nicht mit aventurischer Beschaulichkeit beim Schreibstil kommen. Umgekehrt hätte ich mir beim (meist großartigen) Artwork (quantitativ) mehr gewünscht.

Trotzdem gibt es hier eine uneingeschränkte Kaufempfehlung, denn ihr müsst es ja anders als ich nicht von vorne nach hinten lesen, sondern könnt euch rauspicken, was ihr zum spielen braucht. Und als Ideenquelle kann das so richtig was.

Tharun: Die Welt der Schwertmeister

Stefan Küppers, Arne Gniech
Uhrwerk Verlag, Köln
ISBN: 978-3-942012-55-3
Hardcover, € 40,00

 

Kostenlose Regelwerke – Schmälern sie den Profit?

Splittermond hat sein vor wenigen Tagen erschienenes Regelwerk gestern kostenlos online gestellt. Als voll ausgestattetes PDF – mit allen Texten, dem Artwork – alles, was die Druckausgabe auch enthält, außer dem Papier.

Das ist nichts ungewöhnliches in der Rollenspielbranche. Einige Regelwerke (wie z.B. das ebenfalls im Uhrwerk Verlag erschienene Dungeonslayers) sind zuerst als kostenlose Onlineversion erschienen und dann erst in den Druck gekommen, als die vielen Spieler gerne ein Papierausgabe für den Tisch haben wollten. Evil Hat hat mit der „Bit&Mortar“-Version seiner Regelwerke das PDF zur Papierversion dazugegeben und ähnlich wie d20 eine kostenlose Version als Fate-SRD veröffentlicht – aber gekürzt und ohne Artwork. Das PDF gibt es als „bezahl-so-viel-wie-du-für-fair-hälst„. D&D5 ist ebenfalls (als Basic Rules) kostenlos als PDF zu haben – sogar in einer Printerfriendly Version.

Ist das, kann das ein wirtschaftlich sinnvolles Vorgehen sein? DSA plant für die Version DSA5 offenbar einen solchen Schritt nicht – und wenn wir mal ehrlich sind, ist Ulisses wohl der einzige Verlag, der über den Zustand der Selbstausbeutung hinaus Geld verdient. Weiß man dort einfach besser, wie man Geld verdient?

Vermutlich ist die Entscheidung für und gegen kostenlose PDFs eher eine Frage der bisherigen Marktdurchdringung. DSA ist der Leithammel im deutschen Rollenspielmarkt, mit einer gewaltigen Zahl an außerordentlich loyalen Käufern und Sammlern. Ich vermute, dass der Verlag sich relativ sicher ist, dass die DSA4-Kunden automatisch auch DSA5 kaufen werden.

Splittermond, Fate, Dungeonslayers – hier musste (im Fall von Splittermond muss) eine Spielerschaft erst noch geschaffen werden. Leute, die das System bisher nicht kennen müssen dazu bewegt werden, es interessant zu finden. Dazu ist es sinnvoll, die Hürden möglichst niedrig zu halten – ein kostenloses PDF (und der kostenlose, gedruckte, Schnellstarter) sind einfach zu beschaffen, und selbst nur milde interessierte Rollenspieler werden vermutlich mal einen Blick riskieren – man muss ja nicht mal in den Laden fahren um reinblättern zu können. Dungeonslayers hat gezeigt, dass aus dem kostenlosen Regelwerk, verbunden mit einer sehr aktiven Community, ein tolles, aktiv wahrgenommenes und gespieltes Regelwerk werden kann, dass dann eine Nachfrage nach gedruckten Regeln, einer Weltenbox, etc erzeugt, von der Uhrwerk dann profitieren kann. Vielleicht funktioniert das auch hier – wer Splittermond anhand des PDF ausprobiert, der will vermutlich auch bald einen Blick in den Weltenband werfen (übrigens Preisträger des Deutschen Rollenspielpreises 2014), den es nicht kostenlos gibt. Und evtl. kauft man auch das Buch, weil (so finde zumindest ich), ein Buch am Tisch einfach angenehmer ist als ein PDF.

Allerdings gibt es auch andere Stimmen. Besonders Zornhau hat schon mehrfach geäußert, dass er Rollenspiele als PDF der Printfassung vorzieht – auch weil er dann einen Ausdruck (ganz oder in Teilen) herstellen kann, Kommentieren, Annotieren etc, ohne dem (teuren) Buch zu schaden.

Sollten Leute wie Zornhau die Mehrheit stellen, dann wäre die Entscheidung ein Rollenspielprodukt als kostenloses PDF zu veröffentlichen wirtschaftlich nicht tragbar. Sehe ich mir das von mir sehr geschätzte Regelwerk „Leverage“ an, eine extrem gute Serienadaption (die sicherlich auch noch Lizenzgebühren erwirtschaften muss), so muss ich betrübt feststellen, dass dort außer dem GRW nur PDF-Produkte herausgekommen sind. Letztere hab ich dann nicht mehr erworben.

Ist das GRW aber kostenlos, ist der Vertrieb von Nur-PDF-Produkten deutlich erschwert, weil die Käufer hier zu Recht die Frage stellen, warum das GRW kostenlos ist, die anderen PDFs aber etwas kosten sollen.

Hinzu kommt, dass das Grundregelwerk bisher eigentlich im das Buch war, dass sich am besten verkauft hat – immerhin haben in vielen Spielrunden auch die Spieler ein Grundregelwerk, aber selten kaufen reine Spieler Abenteuer oder Settingbeschreibungen. Die werden oft nur an die SL verkauft, also mit geringerer Auflage. Als „Gewinnträger“ fällt das GRW aus, wenn die Leute deshalb weniger Exemplare des Printprodukts kaufen sollten. (Ob das so ist, kann man aber nicht messen.).

Ich vermute, dass Shadowrun mit dem Kampfpreis GRW einen Mittelweg beschreiten wollte. Das Shadowrun5-GRW vollfarbig für 20€ zu verkaufen kann dem Verlag kaum eine ersthafte Gewinnmarge lassen. Bestenfalls eine schwarze Null, so hörte ich von verschiedenen Experten. Aber die Verbreitung des Regelwerks ist hoch, weil man für die 20€ eben auch wirklich was tolles bekommt. Und die gefürchtete „Gratis-Mentalität“ kommt nicht auf. Ist das also der richtige Weg?

Ich kann es nicht sagen, ich kann nur eine Meinung haben: Toll, wenn es kostenlose GRWs gibt. Damit schafft man neue (zukünftige) Kunden. Ich bin sicher, dass da draußen mit kostenlosen Material gespielt wird, von Leuten, die vermutlich den Einsatz von w20 hausregeln, weil sie keinen haben. Die aber jung sind und begeistert spielen. Und wenn die dann 25 sind und über eigene Kohle verfügen, dann kaufen einige von denen auch für richtig Geld… Aber fast noch besser: Sie spielen.

Neue Version bei FATE – was nu?

Logo_RSPKarneval_500pxBeim Rollenspielblogkarneval diesen Monat geht es um neue Versionen. Die meisten Leute denken dabei an „große“ System wie D&D, DSA oder Shadowrun.

Ich möchte hingegen auf Fate eingehen, weil ich die ziemlich sanften Änderungen zwischen Fate 3 und Fate Core gerade miterlebt habe. Dabei soll es weniger um die technischen Änderungen gehen, sondern auf den Umgang damit. Betonen möchte ich, dass es „gerade so“ eine neue Version ist. In vielen Punkten ist es nur ein Kodifizieren von Patches und eine Vereinheitlichung der Mechanismen.

Ich leite derzeit eine just begonnene Dresden Files Kampagne. Das impliziert natürlich die Verwendung des DFRPG-Regelwerks, dass allerdings Version 3 verwendet – vielleicht 3.3, denn Dresden Files nimmt einige Schritte vorweg, die den Unterschied zwischen 3 und Core ausmachen (weniger Aspekte, z.B.).

Versucht ist man natürlich schon, die unstreitig von allen als Verbesserung empfundenen Änderungen in Fate Core in das Spiel zu integrieren. So ganz unproblematisch es es aber trotz der geringen Änderungen auch wieder nicht, einfach auf Core umzustellen: Das „Superpowersystem“ in DFRPG basiert auf einer Refreshmenge, die es bei Core nicht gibt, die Beispielstunts passen nicht mehr und es ist mir nicht völlig klar, ob mehrere freie Ausnutzungen eines durch Magie erschaffenen Aspektes die Machtbalance nicht nohc mehr in Richtung Magier verschiebt.

Ich habe dennoch zuerst damit geliebäugelt, die neuen Elemente zum Teil zu integrieren. Zu verlockend ist es… aber jetzt dennoch davon Abstand genommen. Zum einen würden die (überwiegend recht regelsicheren) Spieler verwirrt werden, weil sie sich immer wieder in Erinnerung rufen müssten, wann die neuen Regeln nun gelten, zum anderen sind da eben die erwähnten Verschiebungen in der puren Macht vor allem der Magier. Daher bleibt es dabei: Wir spielen die alte Version.

Dies ist ein Beitrag im Rahmen des Blog-Karnevals „Neue Version – was nun?“

Der Startbeitrag auf Zornhaus Blog

Zur Diskussion bei rsp-blogs

Rezension: Das Lied von Eis und Feuer

LvEuF-coverDer Mantikore-Verlag hat mir freundlicherweise ein Exemplar seiner Übersetzung des aktuellen GoT-Rollenspiels zukommen lassen. Zum ebenfalls hier rezensierten Schnellstarter geht es hier. Diese Besprechung befasst sich  mit dem Grundregelwerk, das die vollständigen Regeln enthält.

Buch

In der Hand hält man ein schön aufgemachtes Hardcover, das sehr angenehm wuchtig in der Hand liegt. Fester Einband, glänzendes Papier, vollfarbig, Lesebändchen – Mantikore spart nicht. 340 Seiten in dieser sehr hochwertigen Aufmachung kosten dann aber auch ordentliche 49,95 € – nicht direkt günstig, aber wie schon der Schnellstarter erhält man eine höchst ordentliche Gegenleistung fürs sauer verdiente Geld. Das Artwork ist nicht immer meine Sache, vor allem die Darstellung von einzelnen Personen überzeugt nicht jedes Mal. Dennoch enthält das Buch viele brauchbare Bilder, die die Stimmung des Settings schön übertragen.

Setting

Das Setting kennt der geneigte Spieler vermutlich schon aus den Büchern von Georg R. R. Martin, oder aus der TV-Serie, die zur Zeit gerade von RTL II ausgestrahlt wird. Natürlich wird die Spielwelt trotzdem ausführlich dargestellt, wobei manche Informationen sich im Spielleiterteil finden, andere in Kapitel 1. Das Buch hält sich an die Begriffsübersetzungen der Romane – aus Kings Landing wird Königsmund. Auch wenn ich dabei manchmal etwas unglücklich bin (warum wird (sehr gelungen) Königsmund gewählt, dann aber anderswo von „Lord Eggens Stadt“ gesprochen, also die Adelstitel nicht eingedeutscht?) stimme ich der Grundentscheidung, das Spiel in der deutschen Übersetzung auch vollständig einzudeutschen, zu. Es sollte spielbar sein, ohne das jemand am Tisch auch nur ein Wort Englisch spricht. Das ist gut gelungen.

Würfelsystem

Das Würfelsystem kommt erfrischenderweise ohne Sonderwürfel aus – einige W6 reichen aus. Im Grunde würfelt man eine Anzahl an w6, die dem Attribut entspricht, sie werden addiert. Allerdings kann man sich mit Fähigkeiten spezialisieren, dann erhält man „Bonuswürfel“, die man mitwürfeln darf. Gewertet werden dann nur eine dem Grundwert entsprechende Zahl von Würfeln, aber man kann die besten auswählen. Das ist übersichtlich und gibt einem eine angenehme Form, leicht besser zu werden, ohne sofort das Balancing zu ruinieren. Allerdings habe ich keine intuitive Möglichkeit zu erkennen, wie wahrscheinlich ein Wurf von mindestens 12 (Hoch) mit 4w6 oder 3w6 mit zwei Bonuswürfeln ist.

Charaktererschaffung

Ein Charakter kann dann noch Talente, Vor- und Nachteile haben, man kann Motivationen und Ziele auswürfeln und mit Tugend und Laster ethische Dimensionen bestimmen. Die „Rollen“ sind Anführer, Experte, Intrigant, Kämpfer und Schuft, wobei die Rolle nur eine Empfehlung ist: Solche Typen passen zum Spiel, und sie haben bestenfalls ihren Schwerpunkt in den angegebenen Kernfähigkeiten. Anders als man nach der Lektüre der Bücher erwarten würde, werden hier keine schnell ersetzbaren „Wegwerfcharaktere“ erzeugt, sondern aufwändige und mechanische detaillierte Protagonisten. Es gibt als Zugeständnis an moderne Spielgewohnheiten „Schicksalspunkte“ , mittels derer man Würfelwürfe verbessern, aber auch in geringem Umfang die Geschichte verändern kann, grundsätzlich ist aber die Charaktergenerierung ziemlich klassisch und sehr zeitaufwändig

Haus und Ländereien

Zu dem Highlight des Spiels gehört definitiv die Generierung von Haus und Ländereien in Kapitel 6. Obwohl zeitaufwändig, hat es allen Gruppen Spaß gemacht, mit denen ich es als SL oder Spieler ausprobiert habe. Abhängig von der Gegend, in der das Haus liegen soll, sind die Startresourcen unterschiedlich. Die Werte der eigenen Ländereien (Bevölkerung, Einfluss, Land, Macht, Recht, Vermögen und Verteidigung) unterscheiden sich abhängig davon, ob man z.B. zu Königsmund gehört oder Mondberge. Nachdem die genannten Werte mit Zahlen bestimmt wurden, wird die Haushistorie ausgewürfelt – Gefälligkeiten können erworben werden, das Haus kann auf- oder absteigen oder gar in einen Verrat verwickelt worden sein – die Geschichten erzählen sich dabei fast von selbst. Ein großartiger Spaß, der im Spiel regelmäßig fortgesetzt wird. Anschließend können (und sollten) noch Details bestimmt werden – von den Truppenteilen bis hin zu den Landbesitztümern, die z.B. Berge, Hügel, Ebene oder Feuchtgebiete sein können und mit Merkmalen wie Straße, Wald, Ruine oder Gemeinde  verbessert werden können. Auch Bergwerke, Gilden oder Marktplätze können (als Konkretisierung des Vermögens) gewählt werden, während Punkte in Macht und Recht sich im Hausglück wiederfinden, auf das man jährlich würfelt. Die Konkretisierung spielt auch mechanisch eine Rolle – Burgen helfen bei der Verteidigung, Ritter sind im Wald schlechter als Infantrie, aber auf der Ebene überlegen, etc.
Auch für Wappen und Motto gibt es umfangreiche Tabellen, auf die man würfeln kann, dabei erhält man gleich einen Schnellkurs in Heraldik. Sehr gelungen. Im letzten Schritt verteilt man die wichtigen Akteure des Hauses (der Herr des Hauses heißt komischerweise wieder Lord) auf die Spielercharaktere und füllt mit NSC auf. Das ist schon ein Abenteuergenerator, der alleine rockt.

Intrigen

Eine von mir im Rahmen des Schnellstarters gelobte Besonderheit des Spiels sind die ausführlichen Regeln zu Intrigen. Beim Testspiel haben sie sich aber nicht bewährt. Sie sind zum einen sehr umfangreich und machen (was ich persönlich gut finde) eine Intrige ähnlich aufwändig wie einen Kampf, können dabei aber weitaus mehr Ausgänge haben als nur gewonnen/verloren, denn es kann auch sein, dass man die Meinung einer anderen Person nur verändert, aber damit das eigentliche Ziel nicht erreicht. Aber in den verschiedenen Testspielen wurden die Regeln nicht angenommen. Es gab dabei SLs, die „sowas ausspielen wollen“, anderen war die Lektüre zu aufwändig oder die Spieler fanden es schwierig, Würfelergebnis und „schauspielerische Leistung“ in Einklang zu bringen. Die Regeln funktionieren aber gut, wenn der SL sie einsetzt – für mich persönlich, der soziale Konfliktsysteme mag, haben sie nur einen echten Nachteil: Sie betreffen regelmäßig nur einen PC, kosten aber recht viel Zeit, und sind daher für den Rest der Spieler nicht besonders interessant. Teamplay ist nur sehr begrenzt in der Intrige möglich. Im PvP-Szenario wollten meine Spieler den Erfolg der Intrige sogar eher nach „dramatischen“ Erwägungen entscheiden („es wäre cooler, wenn ich mich hier täuschen lasse, weil…“). Mein Lob muss ich also einschränken; die Regeln sind okay, aber am Tisch zur Zufriedenheit aller Spieler funktioniert oder sehr coole Szenen erzeugt haben sie nicht.

Gefechtsregeln

Eine weitere Ergänzung zum Schnellstarter sind die Gefechtsregeln. Sie greifen die Ergebnisse der Hauserzeugung auf, weil die dort bestimmten Truppenteile jetzt eine Rolle spielen. So kann man sehr detailliert eine Feldschlacht oder die Belagerung einer Burg ausspielen, wo die verschiedenen Truppenteile ihre Stärken und Schwächen haben. Sehr brettspielig, sehr detailliert. Funktioniert, war mir aber im Ergebnis zu aufwändig für das erzielte Ergebnis, aber die Taktiker unter meinen Spielern mochten das System, da sie es sehr realistisch und damit nachvollziehbar gefunden haben.

Abenteuer

Am Ende des Buches befinden sich dann noch zwei Abenteuer. Die „Reise nach Königsmund“ ist eine eher einfache Sache, die in jeder Fantasywelt stattfinden könnte – und dem Abenteuer im Schnellstarter entspricht. Aber das zweite, darauf aufbauende Abenteuer, „Gefahr in Königsmund“ ist da schon ganz anders. Ein großartiges Szenario mit Turnieren, dem König, Intrigen, Anschuldigungen, Balz und Minne, Mord und Duell, Göttern und schwangeren Mägden. Es bietet dem SL eine Gelegenheit, praktisch alle Regelelemente (bis auf die Gefechte zwischen Einheiten) zu verwenden und die PCs in die Welt einzubinden. Dazu wird Königsmund so gut beschrieben, dass man auch so seinen Spaß dort haben kann ohne seine Spieler auf den vorgegebenen Pfad zwingen zu müssen; mir hat das sehr gut gefallen.

Fazit

Ein sehr gelungenes Rollenspiel, das sehr genau das bietet, was man bei einem Westeros-Spiel auch erwarten würde. Die Anbindung an das Setting ist sehr gelungen, die Regeln sind komplex aber funktionsfähig. Wer gerne simuliert, findet hier viel Material, um die Spielwelt ansprechend zu gestalten. Wem es auf das Drama ankommt, das Martin so meisterhaft beherrscht – ist hier falsch. Das System ist klassisch und hat keine Mechanismen, um die abrupten Plotwendungen, brutalen Protagonistentode und kaputten Antagonisten abzubilden.

Bei sehr mächtigen Kämpen wird das Kampfsystem irgendwann etwas undynamisch – ein Problem, das sich bei Spielen mit hoher Regeldichte kaum umgehen lässt, wie D&D3 und Pathfinder zeigen – die vielen Optionen und Möglichkeiten brauchen Zeit. In meinem Rollenspielumfeld – und soweit ich hörte, auch auf dem Tanelorn-Treffen – wird auf Basis des Settings unerhört viel „Freeforming“ betrieben, also einfach unter Auslassung aller Regeln gespielt. Das verträgt das System aber offenbar ganz gut, wenn man die Intrigenregeln nicht beachtet. Aufgrund der Popularität der Romane und TV-Serie sind reichlich andere Handreichungen erhältlich (z.B. Karten), die das Spielen erleichtern. Das Buch ist eine gute Wahl, wenn man in Westeros „klassisch“ spielen möchte, aber dennoch (z.B. mittels der Schicksalspunkte, Hausgenerierung, etc) einen moderaten Einfluss der Spieler auf Welt und Plot zulassen möchte.

Railroader oder Sandboxer?

Im folgenden lest ihr einen Gastbeitrag von Wellentänzer, für den ich ihm sehr danke. Er befasst sich mit de Balance der Spielerfreiheit mit anderen Zielen in Rollenspielrunden.

Railroader oder Sandboxer?

Nutzen und Gefahren von Zufallstabellen und anderen SL-Techniken

Einleitung

Dieser Beitrag widmet sich erstens der Frage, warum Zufallstabellen in Rollenspielrunden zum Einsatz kommen, wie sie wirken und welche Vor- und Nachteile sie haben.

Zweitens sollen Zufallstabellen eingeordnet werden in einen größeren Kontext rund um die Diskussion der Effekte des Gewährens und Beschneidens des Gestaltungsfreiraums der Spieler durch den SL.

Hintergrund der Ausführungen ist eine Sammlung von ein paar eher theoretischen Gedanken rund um Rollenspiele, die in verschiedenen Foren diskutiert wurden. Meines Wissens wird das Konzept der Notwendigkeit von Balancen der Spielerfreiheit in dieser Form zum ersten mal diskutiert.

Die drei Funktionen von Zufallstabellen

Also: Warum Zufallstabellen? Ich sehe darin eine Möglichkeit für SL, um möglichst fair die eigene Kreativität einerseits zu vergrößern und andererseits zugleich sinnvoll zu bahnen.

Schauen wir uns die entscheidenden Komponenten dabei einmal etwas genauer an: Fairness, Kreativität und Begrenzung von Optionen.

Fairness bedeutet in diesem Zusammenhang vor allem, dass der Spielleiter durch Zufallstabellen die eigene Intention systematisch zu zähmen befähigt wird. Zufallstabellen sollen dabei auf maximal unabhängige Weise zur Simulation beitragen, denn sie sind nur bedingt durch die individuellen Wünsche des SL beeinflussbar und dienen damit einer Überparteilichkeit, die in der Position des SL leicht verlorengehen kann.

Außerdem bieten Zufallstabellen dem SL die wunderbare Möglichkeit, eine frische Außenperspektive einzuholen. Das steigert die Kreativität. Der SL bekommt nämlich Inspiration unabhängig von den eigenen, eventuell bereits etwas eingefahrenen Gedanken. Deshalb werden Zufallstabellen auch so gerne von anderen SL/Quellen übernommen und es entstehen dadurch sogar enzyklopädienartige Werke, die eine verwirrende Vielfalt an Zufallstabellen umfassen (z.B. die Ultimate Toolbox, siehe hier: ).

Drittens dienen Zufallstabellen jedoch auch einer Begrenzung der Kreativität. Durch die Optionen der Tabelle werden nämlich sinnvolle Vorgaben gemacht, welche die Verlässlichkeit und Verbindlichkeit der Ergebnisse für die komplette Runde vergrößern. Das ist insbesondere dann wichtig für Runden, in denen sich der SL als neutraler Mittler oder gar tendentiell als Antagonist der Spieler auffasst.

Dadurch kommt Zufallstabellen eine Funktion zu, die zugleich die Erweiterung des eigenen Horizonts des SL UND die Beschränkung der Möglichkeiten umfasst. Damit symbolisieren Zufallstabellen so ein bisschen das übergeordnete Konzept, das ich im Folgenden noch etwas ausführlicher darstellen möchte: die Notwendigkeit einer Balance aus dem Gewähren und Beschneiden von Gestaltungsspielraum der Spieler durch den SL.

Schließlich befriedigen Zufallstabellen natürlich auch noch unsere Neugier und den Spieltrieb. Das kann man an Merkwürdigkeiten wie Age of Fable () oder einem Traveller RPG Solospiel (siehe beispielsweise hier: ) ganz schön nachvollziehen. Doch das ist im Rahmen dieses Beitrags nur am Rande relevant.

Der größere Zusammenhang: Balance von Gestaltungsspielraum

Man kann Spielern als Spielleiter Freiräume nehmen und Freiräume gewähren. Das Ausmaß, in dem ein SL dies tut, ist ein wichtiges Kennzeichen des Spielstiles einer Gruppe und wurde nach meinem Eindruck bislang weder hinreichend noch zusammenhängend dargestellt. Deshalb wage ich hiermit mal einen Versuch.

Während der klassische DSA-Railroader seinen Spielern tendentiell Freiheitsgrade nimmt, gewährt sie der Old-School-Dungeon-Sandboxer. Wenn man die zugrundeliegende Dimension „Gewährter Gestaltungsfreiraum“ als Beschreibungsgrundlage nimmt, lassen sich meiner Ansicht nach viele Vorteile, Nachteile und am Spieltisch auftretende Phänomene gut beschreiben, erklären und vorhersagen. Deshalb finde ich eine solche Kategorisierung sinnvoll.

Ein bisschen schade ist es, dass der virtuelle Diskurs über das konkrete Ausmaß und die Verortung einer Gruppe auf der Dimension extrem schnell an seine Grenzen gerät. Spannend wird es bei der Analyse einer einzelnen Spielrunde meiner Ansicht nach nämlich genau dann, wenn man ins Detail geht. Hier mal ein paar prototypische Fragen:

  • Wie subtil bis brachial wird ein Plotelement denn nun durch den SL in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt?
  • Wie stark lehnen sich die Spieler im Sitz zurück und lassen den SL mit seinen Ideen kommen/verhungern?
  • Wie sehr fordern die Spieler aktiv ihre Rollen am Spieltisch ein?
  • Wie stark definieren die Welt mit bzw. wollen sie das überhaupt?
  • Wie sehr suggerieren die Spieler Fäden und Handlungsstränge über die Vorgaben und Suggestionen des SL hinaus?
  • Wie sehr wird ambitioniertes Charakterspiel von der Runde gefordert und gefördert?
  • Wie sieht es mit Emotionalität und dessen Herleitung und Verarbeitung am Spieltisch aus?
  • Wie hängt die Mortalität der SC mit der Identifikation der Spieler in der jeweiligen Runde zusammen?
  • Wird eher ein episodisches oder ein stark verknüpftes Spiel angestrebt? Werden langfristige Kampagnen oder viele OneShots präferiert?
  • Wie viel Zeit haben SL und Spieler für die Vor- und Nachbereitung? Wie häufig spielt die Gruppe?
  • Gibt es ein stark gepflegtes Diary?
  • Wie stark unterstützt bzw. unterbindet das jeweilige System die gewünschten Balancen?

Leider lassen sich diese Fragen im virtuellen Diskurs eigentlich nicht klären, weil zwangsläufig die Kenntnis zu vieler Details fehlt. Das ist ein echter Hemmschuh für die virtuelle Diskussion konkreter Beispiele aus Spielrunden. Das kann nicht funktionieren und ist deshalb nicht sinnvoll.

Die Mär von der idealen Balance

Natürlich gibt es auch keine global gültige Idealbalance für Rollenspielrunden, denn dafür werden die obigen Fragen viel zu unterschiedlich von den Spielern, Gruppen, Spielpräferenzen und Rahmenbedingungen beantwortet. Die ideale Balance der Beschneidung und des Eröffnens von Freiheitsgraden durch den Spielleiter muss vielmehr abhängig von genau dieser Konstellation aus Personen, Gruppe, Spielvorlieben, vorhandenen Ressourcen und sonstigen Rahmenbedingungen gestaltet werden. Es nützt dementsprechend wenig, sich selbst – wie früher häufiger gerne geschehen – lauthals krakeelend auf dem Kontinuum von Offenheit und Geschlossenheit von Entscheidungsfreiheit zu positionieren und seine diesbezügliche Befindlichkeit dann als das Maß aller Dinge zu proklamieren. Selbstverständlich kann man sich hinstellen und grandios seinen Case für das jeweilige Extrem der Skala „Gewährter Gestaltungsfreiraum“ formulieren:

Extrempol 1. Der SL ist neutraler Simulator der Welt. Die Rule of Cool „entwertet“ Spielerentscheidungen. Plots sind per se böse. Showdowns hat es nie zu geben. Sie passieren einfach und ergeben sich natürlich aus dem Spiel. Jegliche Verletzung von Neutralität durch den SL, ja selbst die Neigung des Spielleiters zur Förderung bestimmter Handlungs- oder Aktionsmuster trägt in sich bereits den zersetzenden Keim der Unredlichkeit. Ich halte das nach wie vor für ausgemachten Quatsch, aber das ist die – zumindest bis vor ein paar Jahren ernsthaft vorgebrachte – Extremposition des ARS.

Extrempol 2. Demgegenüber steht die frühe DSA-Fraktion, die davon ausgeht, dass das Abenteuer an sich bereits den perfekten und nicht überbietbaren Spannungsbogen bereithält und diesen entsprechend drastisch durchsetzt. Spieler müssen folgen, gehorchen, sich unterordnen, damit das große Ganze in all seiner Herrlichkeit erstrahlen kann. Zudem herrscht die Vorstellung, dass die Spieler doch bitte am Spieltisch etwas lernen mögen, idealer Weise ethisch-moralisches Rüstzeug für die Zukunft erwerben – und wer wäre besser für entsprechende Lektionen geeignet als der wohlmeinende Diktator-SL? Das ist das andere Extrem der Skala und aus heutiger Sicht nicht minder sinnlos.

Die Wirklichkeit am Spieltisch: kaum Extremisten in Sicht

Tatsächliche Runden bewegen sich in den allermeisten Fällen irgendwo zwischen diesen beiden Polen. Eigentlich handelt es sich bei den Extremen, wenn man es denn auf die Spitze treiben möchte, sogar nicht mehr um Rollenspiele im eigentlichen Sinne, sondern um reine Simulationen in Wargamingtradition, oftmals bar emotionalen Ausdrucks und/oder schauspielerischer Elemente einerseits (da kommt das Hobby international ja her) oder um vormalig innovative, pädagogische Instrumente zur Förderung von Kreativität, sozialer Interaktionsfähigkeit und Kommunikationsvermögen von Kindern und Jugendlichen (die DSA-Tradition nach Kiesow). Aber das führt uns direkt in die Definitionshölle dessen, was Rollenspiel eigentlich ausmacht und da will ich in diesem Beitrag ehrlicher Weise gar nicht hin.

Stattdessen könnten wir uns illustrierend mal ein Beispiel anschauen. Da taugen die weithin bekannten und geschätzten Herren Greifenklaue und Glgnfz wunderbar, denn da kann ich mir vorstellen, wie sie präferierter Weise zumeist so spielen*:

  • Eher oldschoolig
  • Es darf auch mal ein Dungeon sein, gerne vielleicht sogar zwei
  • Charaktere sterben desöfteren
  • Ausufernde oder gar romanartige Hintergrundgeschichten der SC sind eher unerwünscht und nervig
  • Zufallstabellen helfen bei der Modellierung der Welt willkommener Weise
  • „Rulings not rules“ ist ein wichtiges Steuerungselement
  • Herausforderung geht vor Narration
  • Handlung am Spieltisch geht vor intensivem Charakterspiel
  • Drama Queens als Spieler werden tendentiell als nervig angesehen
  • Gefühle gibt es bei Spielern und (N)SC, aber bitte schön in Maßen und zivilisiert
  • Würfel werden auf keinen Fall gedreht

Das passt hoffentlich so ungefähr. Mit diesen Vorlieben kann man selbstredend wunderbar spielen und beliebig lange sehr viel Spaß haben. Das beweisen die geschätzten Herren mit ihrem Verve und ihrer Energie ja fast täglich. Auch bin ich mir sicher, dass bei in dieser Art aktiven Gruppen etwaige Nachteile und Schwierigkeiten der skizzierten Präferenzstruktur kaum zum Tragen kommen, eben weil die Vorlieben so gestrickt sind, dass sowas gar nicht oder kaum ins Gewicht fällt. Viele Rollenspieler würden aber, da bin ich sicher, schreiend fliehen, wenn sie am Spieltisch mit derlei Praktiken konfrontiert würden. Das, und damit sind wir wieder beim Oberthema des Threads, hat meiner Ansicht nach maßgeblich auch mit dem gewährten Gestaltungsfreiraum zu tun. Es lohnt sich also, ein bisschen weiter nachzudenken.

Aber: Warum nutzen nicht alle Gruppen Zufallstabellen? Oder: Warum ist maximale Offenheit nicht automatisch „besser“?

Der Hintergrund der Idee und des Konzepts der Balance von Gestaltungsspielräumen wurzelt dabei in einer Historie der Ignoranz. Bis in die 90er Jahre hinein gab es in Deutschland eine sehr starke, DSA-beeinflusste Strömung von selbsternannten Besserspielern, die ausgesprochen abschätzig auf klassische Spielvorlieben wie die von Greifenklaue und co. (siehe oben) herabgeblickt haben. Da fielen dann einerseits despektierlich gemeinte Begriffe wie „Hack´n´Slayer“ oder „Powergamer“ und andererseits wurden offenkundig in deren Augen positiv besetzte Aspekte wie „Atmosphäre“ und „Story“ und „Plot“ genannt, bei deren Nennung viele Leute heute vermutlich am liebsten sofort das Weite suchen würden. Ich finde es bei näherer Betrachtung sehr erstaunlich, dass sich das Klima heute virtuell quasi komplett gedreht hat. Einen Hauptgrund dafür sehe ich in einem veränderten Idealbild dessen, was als idealer Gestaltungsfreiraum wahrgenommen wird.

Was man dabei jedoch noch aufdröseln und berücksichtigen muss, sind die negativen Sekundäreffekte der jeweiligen Strategien zum Gewähren oder Beschneiden von Gestaltungsfreiräumen. Ansonsten ist es nämlich vielen Leuten mutmaßlich nur schwer ersichtlich, weshalb am Spieltisch insbesondere auch in ambitionierten, erfahrenen und theoretisch versierten Runden ganz absichtlich eine bestimmte Balance irgendwo mitten auf dem Kontinuum der Gestaltungsfreiheit gewählt wird, weshalb also die Gruppe diverse Beschneidungen ihrer Freiheit durch den SL nicht nur zulässt, sondern sogar aktiv begrüßt. Auch nutzen nicht alle Gruppen fleißig Zufallstabellen trotz der offenkundigen Vorzüge – und das hat natürlich seinen Grund.

Für das pädagogisch aufgeladene DSA-Extremrailroading sind die damit verbundenen negativen Sekundäreffekte einigermaßen offensichtlich und wurden vielerorts sowie in epischer Breite dargestellt: die Spieler fühlen sich gegängelt und drangsaliert etc. Die gefürchtete „Spielleiter-Willkür“ ist mittlerweile ebenso zum geflügelten Wort geworden wie die „entwerteten“ Spielerentscheidungen (was immer das auch genau sein soll).

Für den Extrempol des neutralen Simulationismus in Reinkultur ist die Sachlage aber meiner Ansicht nach nicht ganz so offensichtlich – und damit wabern auch die Nachteile von Zufallstabellen etwas vage vor sich hin. Den Grund sehe ich vor allem darin, dass die diesbezüglichen Risiken und Nebenwirkungen deutlich vielfältiger und schwieriger zu fassen sind.

Im Falle von Zufallstabellen kann sich durch die zwangsläufige Randomisierung schon mal eine unangenehme Banalisierung des Geschehens ergeben. Auch besteht die Gefahr, dass sich nervtötende Inkonsistenzen ergeben. Zudem muss man noch damit rechnen, dass die Spieler sich weniger Beliebigkeit und mehr Stringenz wünschen. Und schließlich können Zufallstabellen natürlich nicht immer genau so passen, wie es der jeweiligen Situation idealer Weise angemessen wäre – was zusätzlich Gefühle von Diskontinuität auslöst.

Natürlich ergeben sich bei zunehmender Eröffnung von Gestaltungsfreiraum durch den SL noch diverse weitere Negativeffekte. Hier eine kleine Auswahl ohne Anspruch auf Vollständigkeit: nicht sinnvoll vom SL zu bewältigende Komplexität des Geschehens am Spieltisch, große Gefahr des Stillstands und der Langeweile während des Spiels, Orientierungslosigkeit und Gefühle der Beliebigkeit der Spieler, Horroraufwand für den SL in der Vorbereitung, emotionale Unterentwicklung durch zu starke Abstrahierung des Geschehens, kognitive Überbeanspruchung der Spieler, Unfähigkeit und Unwille des SL zur strikten Neutralität. Und so weiter. Die Komplettliste könnte man in einem anderen Format gerne einmal etwas systematischer sammeln und diskutieren.

Vor diesem Hintergrund halte ich die Dimension des Gewährens und Beschneidens von Gestaltungsfreiraum durch den SL aber für eine sinnvolle Kategorie in diesem Zusammenhang. Wir verstehen dann, wieso selbst aufgeklärte Rollenspieler eben DOCH manchmal den Gestaltungsfreiraum der Spieler beschneiden und wieso bestimmte Phänomene immer mal wieder als Thema in Foren aufpoppen**.

Deutsche Besonderheiten

Es ist und bleibt übrigens in Deutschland ein nicht von der Hand zu weisendes Verdienst der ARS-Bewegung, das sozial akzeptierte Spektrum von Spielstilen in Deutschland zumindest in den Online-Diskussionen erheblich erweitert zu haben***. Die ARS-Leute waren mit ihren Botschaften teilweise sogar so erfolgreich, dass sich die Diskriminierungen heutzutage häufig sogar umgekehrt haben und nun auf einmal „Railroader“ häufig schwer gedisst werden, „Plots“ schon mal als böseböseböse gebrandmarkt werden, jegliche auf Emotionalität zielende Hobbyausübung etwa in Gestalt von Indie-Games kategorisch abgelehnt wird („Forge ist scheiße“) und so weiter. Andererseits hat sich solch eine Extrembetrachtung ehrlicher Weise in meiner Wahrnehmung schon wieder erheblich gemäßigt und wird nur noch von einigen wenigen Extremisten und Ignoranten ernsthaft vertreten.

Zusammenfassung und Fazit

So habe ich zusammenfassend den Eindruck, dass der Drops damit weitgehend gelutscht ist. Zufallstabellen sind ein tolles Werkzeug, aber sie haben unerwünschte Nebeneffekte. Dasselbe lässt sich für die meisten SL-Werkzeuge festhalten. Man könnte darauf basierend nun verschiedene Dinge tun: sich über die Dimensionalität der Vorliebenstruktur unterhalten (siehe **), die negativen Sekundäreffekte der Extrempole sinnvoll und/oder umfassend aufdröseln oder auch eine Art Gebrauchsanweisung, etwa in Form eines Tests der Vorlieben, entwickeln, um Neueinsteigern oder Umsteigern darauf basierend Systemempfehlungen auszusprechen.

Die im Zusammenhang mit dem Gewähren von Gestaltungsfreiraum drängendsten Fragen, nämlich (Wie unterscheiden sich Spielvorlieben? Nach welchen Kriterien funktioniert die Bewertung von Vorlieben? Welche Vor- und Nachteile gehen mit den jeweiligen Präferenzen einher?)scheinen mir mit dieser Betrachtung aber ganz gut geklärt. Mehr Detaillierung brauche ich persönlich jedenfalls für mein Verständnis nicht. Da sind die Geschmäcker aber selbstverständlich verschieden. Einige wollen mehr Details, anderen ist solch ein Gedankengang wie der oben skizzierte bereits erheblich zu theoretisch. Schließlich, um es mal wieder aufzugreifen: RPG ist keine Wissenschaft!****

Anmerkungen

*: Jungs, bitte entschuldigt, dass ich Euch so dreist und ignorant in einen gemeinsamen Topf werfe. Natürlich weiß ich, dass Ihr wirklich VIELE verschiedene Spiele spielt sowie eine wahnsinnige Erfahrung mit allen möglichen Systemen/Gruppen/Kontexten habt. In diesem Thread verkürze ich Euch aber ganz dreist einfach mal auf Mr. Oldschool und Mr. LabyrinthLord. Ich bitte um Verzeihung und Vergebung für jegliche Unannehmlichkeiten

**: Irgendwie passt die emotional-pädagogische Komponente für mein Gefühl noch nicht so richtig zu der Dimension des gewährten Gestaltungsfreiraums. Ich würde darin tendentiell eine zweite, leicht korrelierte Dimension sehen, sowas in der Art Neutralität versus Intentionalität des SL-Handelns beispielsweise. Das hat zwar am Rande auch mit dem Gestaltungsfreiraum zu tun, aber eigentlich ist das für mein Gefühl ein weitgehend eigenständiges Thema.

***: Das Gebahren zentraler Vertreter dieser Bewegung finde ich zwar bis heute wahnsinnig abstoßend. Aber vielleicht brauchte es auch eine solche … Chuzpe, um das Anliegen in die virtuelle Breite zu tragen. So ganz dysfunktional war das schließlich nicht.

****: Eine kleine Bitte zum Abschluss noch: achtet doch bitte bei Kommentaren darauf, dass im Falle von Kritik erstens konstruktiv kommuniziert, zweitens ein respektvoller Ton angeschlagen und drittens von kleinteiligen OT-Diskussionen abgesehen wird. Ich habe mir große Mühe gegeben, das Thema möglichst neutral zu schildern und würde es hier nur ungerne entgleisen sehen. Herzlichen Dank.