Endlich habe ich mal die „Die Unsterbliche Wüste“ ausprobieren können, dass ich schon im Sommer auf dem FeenCon gekauft habe. Vermutlich ist wieder Moritz Schuld…
Für mich definitiv ein Vergnügen, dass etwas außerhalb meiner „Komfortzone“ liegt, da ich üblicherweise eher im Erzählspiel unterwegs bin.
Aber ein Rollenspieltreffen rund um den Jahreswechsel war lang genug (und divers genug besucht), um eine Crew zusammen zu bekommen, die es mal probieren wollte.
Zum Produkt
Es handelt sich um 30 Hexfelder, produziert in der Qualität, die man auch von Brettspielen wie „Siedler von Catan“ kennt. Neben den Hexfeldern und einem passenden Stoffsäckchen liegt ein Spielleiterschirm bei, der die restlichen Regeln enthält. Dazu noch eine dünne Pappkarte, die beidseitig bedruckt ist und ein Flyer für eine bestimmte Location.
Das Spiel funktioniert so, dass man mit einer Karte beginnt, auf der die Figuren in der Wüste starten. Man legt weitere Karten an, die entweder „leere“ Wüste sind (dann gibt es zwei Tabellen, Begegnungen und Gefahren, auf denen man würfeln kann) oder es ist eine besondere Karte, auf der Dinge zu finden sind – üblicherweise hat man drei zur Auswahl, ich habe auch hier gewürfelt, welche zum Einsatz kommen sollte. Hinzu kann man noch die Stadt in der Wüste finden, die eine gute Basis für die Operation ist und die Sitz der machthabenden Fraktionen der Wüste ist.
Mechanisch ist es praktisch ein Dungeoncrawl, der aber sehr zufällig ist, weil die Spieler die Karten „erkunden“, in dem sie sie ziehen, der SL aus der Beschreibung im SL-Schirm Inhalte generiert und die Spieler dann – in OSR-üblicher Vorsicht – versuchen Schätze zu bergen und den Gefahren zu trotzen.
Zur SL-Erfahrung
Als SL, der eigentlich immer improvisiert, wähnte ich mich gewappnet, hatte aber im Vorfeld Respekt davor, dass die Karten Monster erwähnen, für die es keine Werte gibt. Das wäre für mich in meinen vertrauten Systemen kein Problem, aber hier schon; wir haben Cairn als Regelwerk genutzt, was ich zum ersten Mal gespielt habe.
Im Zweifel muss man aus „1w4 Roboter, niedrigstufig, mit fehlenden Teilen“ schnell Werte generieren können. Das „Bestiarium“ in Cairn ist aber leider sehr knapp gehalten und bietet wenig Beispiele.
Das Thema „Werte“ war aber weniger als erwartet ein Problem, meine Spieler haben selten gekämpft – sie waren außerordentlich vorsichtig.
Was aber eine echte Herausforderung war, war das „Improvisieren ohne Vorlauf“. Normalerweise geht das bei mir so – ich habe eine Szene mit einem Konflikt, die verschiedene Möglichkeiten hat zu enden. Darüber denke ich schon während die Szene noch gespielt wird nach und habe dabei Gelegenheit, die (je nach Ausgang der Szene möglich werdenden) Handlungspfade ein paar Schritte in die Zukunft durchzuspielen. Das erlaubt mir, die Handlungen und Entscheidungen der Spieler zu würdigen und die Zukunft durch sie zu beeinflussen – besser als ein vorher überlegter Plot könnte.
Hier ist das anders. Karte ziehen, Blick in den SL-Schirm – Begegnung: „1w4 weiße Wüstenmandrille (mittelstufig, Hundsaffen, können brutal zubeißen.“ Und die Spieler gucken erwartungsvoll. Kein Hinweis was die da machen, keine Motivation, nichts. Die Viecher kamen noch nie vor.
Da ich selbst ein extrem ungeduldiger Spieler bin, versuche ich natürlich als SL Leerlauf bei den Spielern zu vermeiden. Geht man so vor, hat man eigentlich nur die drei Sekunden, die man braucht um „Plötzlich hört ihr ein Geräusch hinter der nächsten Sanddüne…“ zu sagen, um sich das Ende des Satzes zu überlegen. (Und was für Geräusche machen Mandrille? Warum sollten die Spieler mit ihnen interagieren? Also erstmal würfeln, wer hier wen zuerst bemerkt hat…) Das ist super herausfordernd und sehr spaßig. Kann ich empfehlen!
Zur Spielererfahrung
Meine Spieler hatten sehr viel Spaß, bis sie ihn plötzlich nicht mehr hatten.
Anfangs war es ein Thema, dass sie immer Proviant verbrauchen mussten, um erkunden gehen zu können. Das kostet nach der Liste von Cairn 10 Gold für drei Tage – das wirkt recht teuer, denn ein Schwert kostet auch 10 Gold. Die Schätze, die sie gefunden haben, mussten sie verkaufen können, um Geld für Proviant zu haben. Das habe ich mit den Fraktionen in der Stadt gemischt – hatte die Figur ein gutes Standing bei der Fraktion, gab es mehr Geld. Den Wert habe ich oft mit w10 x w10 oder w10 x w20 bestimmt – das war für die Spieler knapp profitabel.
Was den Spielern (und der Spielerin!) aber richtig den Spaß verdorben hat und dann auch zum recht abrupten Ende führte, war die Gefahr „Delirium“. Sie kommt mit 10% Wahrscheinlichkeit vor, wenn man auf die Tabelle „Gefahren“ würfelt. Ihre Folge ist, dass alle Hexfelder wieder in den Beutel kommen und nur die aktuelle Karte auf dem Tisch bleibt. Alle Erfolge des Erkundens sind dann verloren, jede Planung (z.B. „Wir haben noch genug Proviant, um zur Stadt zurückzukehren“) ist hinfällig. Als das zweite Mal ein „Delirium“ stattfand, hatte meine Gruppe geschlossen keine Lust mehr weiterzuspielen.
Fazit
Natürlich habe ich – es war ja ein One-Shot – das Explorative betont. Man hätte viel mehr Zeit auf jedem benannten Hexfeld verbringen können. Das war aber einerseits nicht so sehr meine Stoßrichtung, aber auch meine Spieler haben oft schon sehr früh die Entscheidung getroffen, dass die grob umrissenen Gefahren den erwartbaren Gewinn übersteigen und sind lieber weitergezogen. Cairn hat Leitsätze für den SL. Einer lautet: „Weise die Spielenden auf ernsthafte Bedrohungen hin, sobald diese auftreten. Je gefährlicher, desto offensichtlicher.“ Vielleicht habe ich das übertrieben, aber anderseits stirbt es sich bei Cairn auch sehr leicht. Die Vorsicht der Spieler war also angemessen; es gab trotzdem einige Todesfälle.
In der Gefahrentabelle gibt es einige Einträge, die zu Veränderungen des Spielfelds führen. Die meisten funktionieren nach meiner Einschätzung, aber Delirium fühlt sich für die Spieler offenbar sehr nach einer Entwertung ihrer Leistung an. Würde ich es nochmal spielen, dann müsste ich entweder von dem harten „Würfeln und Ergebnis akzeptieren“ abrücken, dass ich praktiziert habe, oder den Eintrag ändern.
Es ist spannend zu beobachten, wie das Gehirn aus den willkürlichen Ergebnissen der Tabellen versucht eine kohärente Welt zu konstruieren. Das passiert zwei Mal – einmal, wenn man als SL einen Eintrag interpretiert, ein weiteres Mal, wenn die Spieler eine Logik suchen (obwohl sie ja wissen, dass hier der Zufall dominiert!). Das habe ich an meinen Spielern sehr gemocht, dass sie trotz der offen gezeigten Zufälligkeit der Weltenerschaffung eine Logik sehen wollten.
Ich gehe eigentlich davon aus, dass ich für den Reiz der explorativen Weltenentdeckung nicht sehr empfänglich bin, es war in der Vergangeneheit nicht die große Spaßquelle für mich. In dem Kontext würde ich es aber gerne mal als Spieler ausprobieren. Die Kombination von „Die unendliche Wüste“ mit Cairn nimmt viele andere Spaßquellen des Rollenspiels weitgehend aus der Gleichung – z.B. taktische Kämpfe, Minmaxing Builds, Regel-, Welten- und Genrekenntnis. Es bleiben (neben der Kameradschaft und den Gespräche mit PCs und NSCs) vor allem die Freude am Entdecken und der intelligente Umgang mit Gefahrenquellen – das würde ich gerne mal selbst ausprobieren.