Romantik in drei Intensitätsgraden

Romantik & Liebe, der Karneval der Rollenspielblogs im Juli 2016, macht jedenfalls eines deutlich: Nicht jeder macht es zum Thema seines Spiels. Aber es scheinen auch Missverständnisse zu bestehen, was mit Romantik & Liebe überhaupt gemeint ist: Schuld ist daran ein bisschen Norbert mit seinem Kampfbegriff „Misery Porn“.

Nun habe ich Norbert ganz ausdrücklich um einen Beitrag gebeten – und zwar nicht weil ich seine Haltung kannte, sondern weil Norbert an den Außengrenzen des Rollenspiels vor sich hin freiformt und retrogamet. Ich wusste also, da würde Diskussionsstoff entstehen.

Mit Misery Porn hat Norbert alle Befassung mit Romantik & Liebe abgelehnt, mit der recht gewagten Behauptung, zärtliche Gefühle könnten nur dann für das Rollenspiel interessant sein, wenn sie in Form einer Tragödie serviert würden. Dann aber wäre die Befassung damit irgendwie masochistisch-voyeuristisch, also Misery Porn.

Den Eindruck habe ich aber nicht. Zum einen bin ich schon nicht der Ansicht, dass eine Tragödie (wie das von Norbert genannte Shakespearssche Meisterwerk Romeo&Julia) Misery Porn sei. Aber ich kann auch weit unterhalb der Tragödie mit Romantik & Liebe spielen. Es kann das Thema meines Charakters sein, sich aus einer Beziehung (erfolgreich) zu lösen – das ist ebenso spannend, wie daran zu scheitern.

Die drei Intensitäten:

Porno: Von der expliziten Beschreibung von Sexszenen halte ich persönlich übrigens gar nichts und kann davon nur abraten. Man sollte sich an den amerikanischen Spielfilmstandard halten – nur was man zusammen mit seiner Mutter oder einer Gruppe von Freunden ansehen würde, gehört an den Rollenspieltisch. Klar kann man das auch anders halten, aber dann sollte man vorher sehr deutlich machen, was die Teilnehmer erwartet.

Drama: Liebe und Gefühle stehen im Vordergrund und treiben die Handlung an. Hier ist ein etwas komplexeres Netzwerk an Beziehungen zwischen den Charakteren wichtig, Dreiecksbeziehungen etwa. Game of Thrones ist dafür ein sehr brauchbares Setting, Monsterhearts ist ein Rollenspiel, welches gerade zu diesem Zweck geschrieben wurde. Wenn man in Filmen und Fernsehserien denkt, dann gehört Buffy hier hin. Ich finde hier gehören auch der Wuxia Film „Hero“, denn die Handlung der Charaktere ist – obwohl spekakuläre Kämpfe viel Zeit einnehmen – nur aus Liebe erklärbar und durch diese motiviert. Das heißt also zurückübertragen auf das Rollenspiel: Man kann immernoch in einen Dungeon gehen – aber man tut es jetzt nicht mehr aus Neugierde.

Normal: Romantik & Liebe kommen vor, sind auch wichtig, aber nicht alles. Supernatural, Akte X, Stirb langsam, Lethal Weapon. Hier sind die romantischen Momente, die Gefühle und die Liebe oft Hintergrund – der Unterschied zwischen den beiden Hauptdarstellern in Lethal Weapon z.B. trägt den Film, weil einer eine Familie hat, und der andere sich daran abarbeitet.

(Gar nicht): Mir fallen aus dem Stand keine Filme ein, die überhaupt nicht mit dem Thema arbeiten. Conan hat Geliebte, selbst der Terminator ist nicht ohne Romantik & Liebe …

Umsetzung im Rollenspiel

Was kann ich am Spieltisch damit machen? Das hängt erheblich vom Spielleiter ab. In den Zuständen „gar nicht“ und „normal“ kann ein mittelguter SL wie ich das Thema gut wuppen, da die „Bezugsperson“ als NSC nicht sehr viel Screentime braucht. Die Exfrau von Bruce Willis Character John McClane in Stirb Langsam etwa ist ein typischer NSC. Der Protagonist ist natürlich ein SC, seine Interaktion mit der Ex-Frau sind aber überschaubar und erfordern keine große (darstellerische) Leistung vom SL. Das gleiche gilt für die Frau und die Kinder von Roger Murtaugh (Danny Glover) in Lethal Weapon oder ein Love Interest in Akte X – Abenteueraufhänger, einfach zu spielen.

Ab dem Level: „Drama“ wird es anspruchsvoll für den SL, wenn er NSCs als Bezugspersonen verwenden will. Es bietet sich daher an, die Beziehungen zwischen den Spielern aufzuziehen. Nur wenn die miteinander spielen, kann das ganze funktionieren – andernfalls benötigen alle ständig SL-Input und langweilen sich. Spielen sie hingegen untereinander, dann kann der SL auch mal für ein paar Stunden fehlen, ohne das es jemand merkt.

Warum Romantik und Liebe im Rollenspiel?

Die Zahl der Filme und Serien zu den jeweiligen Kategorien zeigt, dass ganz unabhängig von der Zielgruppe selbst ein stark fokussiertes Aktiongeballere nicht ohne Liebesszenen auskommt. Das hat einen Grund: Nicht etwa, damit die ins Kino mitgebrachte Gattin mal für 15 Sekunden aufhört, ständig „UNREALISTISCH“ zu rufen, sondern weil alle Zuschauer es vorziehen, wenn die Handlungen der Charaktere durch Motiviationen nachvollziehbarer und damit „immersiver“ gemacht werden. Dieser Grund trägt auch die Übername in das Rollenspiel. Wie sehr man das macht, bleibt jedem selbst überlassen. Aber ganz weglassen sollte man das Thema nicht, eine solche Beschränkung nimmt viel vom Spiel weg.

12 Gedanken zu „Romantik in drei Intensitätsgraden

  1. Hi,

    bis jetzt ist das für mich der beste Beitrag in diesem Karneval, weil hier die Gründe für Liebe & Romantik sehr gut dargestellt sind, gerade mit der Verknüpfung zu anderen Medien.
    Ich mag den Begriff Misery Porn auch nicht. Seit ich ihn vor ein paar Wochen bei Analogkonsole das erste Mal gelesen habe, meine ich, dass er immer häufiger auftaucht. Für nicht ist das aber ein pejorativer Kampfbegriff, der jegliche Diskussion von vornherein schädigt.
    Ansonsten schon interessant, dass fast alle Karnevalsbeiträge sich um Ja oder Nein von Romantik am Spieltisch drehen. Scheint wirklich sehr zu polarisieren.

    Grüße
    John Doe

    • Vielen Dank!

      Mich wundert das auch, weil ich das für eine Besonderheit von Rollenspiel halte, die eigentlich überholt schien. Ich dachte, dass spätestens mit den World of Darkness Rollenspielen (Vampire und so) Beziehungen, Gefühle und dergleichen zum Thema gemacht wurden und damit Mainstream wurden. Scheint aber nicht so…

      • Wobei man bei Norberts Artikel, in dem er den Begriff „Misery Porn“ nutzt, seinen Stil „Action Porn“ nennt, insofern würde ich nicht allzuviel Energie auf den Begriff verwenden.

        Boba im Tanelorn ordnete es irgendwo beim lang anhaltenen Begriff „Emo“ ein, der ist wahrscheinlich etwas weniger aggressiv.

        • Boba bezog sich dabei allerdings auf ein sehr spezifisches Verhalten aus dem Vampire-Umfeld. Als Bezeichnung für das Thematisieren (romantischer) Beziehungen und Gefühle in Rollenspielen ist auch dieser Begriff („Emo“) vollkommen ungeeignet.

  2. Ich hab ja schon Norbert zugestimmt, würde aber auch – überraschenderweise – Dir zustimmen, weil in der soften Intensitätsstufe, da nutze ich es auch und gern. Aber es ist eben nicht der Fokus, das ist für mich der essentielle Unterschied.

  3. Ein schöner Beitrag. Als Kategorien erinnern Drama und Normal ein bisschen an Laws Unterscheidung zwischen dramatic/procedural scenes, wobei ich sehr wichtig finde, dass du zeigst, dass Romantik und Liebe auch in der „normalen“ Kategorie nichts Besonderes bzw. sogar angebracht sind. Und ein fließender Übergang zwischen Normal und Drama ist ja durchaus auch möglich.

    Nicht ganz einverstanden bin ich mit der Kategorie Porno, weil ich denke, dass sich in den meisten Runden im Hinblick auf das Karnevalsthema die Frage: „Porno – Ja oder Nein“ als valide Intensität neben Normal und Drama nicht stellt. Zumal man auch erst definieren müsste was ein pornografisches Rollenspiel ist und was es beabsichtigt. Ein interessanter Artikel (u.a. zu Numenera) hier: https://bitchmedia.org/article/lets-get-digital-gaming-erotic-roleplaying-rpg-sex. Ich denke, dass die Frage, welche Rolle (expliziter? – was gilt als explizite Beschreibung?) Sex in den beiden anderen Kategorien spielen kann und wie man damit umgeht, deutlich relevanter ist. Ein Beispiel wären die Sex Moves in AW. Sex irgendwie aus dem ganzen Komplex rauszutrennen, macht für mich keinen Sinn, aber das war sicher auch nicht die Absicht hinter der Porno-Kategorie.

    • Mir geht es in der Tat nicht darum, Sex als Thema auszuschließen, sondern Sex als Thema der Darstellung auszuschließen. Letztlich halte ich es (auch bei den Sex-Moves von Monsterhearts) wie ein US-Spielfilm: Es gibt Sex, man kann auch erkennen, wer mit wem wann Sex hat, aber der Akt als solcher wird nicht gezeigt. Der Kuss vorher, das Gespräch danach: Klar, sind wichtig. Was dazwischen passiert: Darstellung nicht nötig.

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