Charakterplot?

“Ich spiele auch gerne Dekoelemente”
— Lena F.

tl;dr Einige Spieler setzen sich eigene, charakterimmanente Ziele, für die sie nur einen Konflikt zwischen ihrem und einem von einem anderen Spieler geführten Charakter benötigen. Dies erlaubt eine gewisse Autarkie vom SL und dessen Handlungsfaden.

Der “Charakterplot” ist – wie das Barbie-Spiel – ein ganz eigener Spaßfaktor, wie mir im Gespräch mit einer begeisterten DSAlerin auffiel. Es handelt sich wohl um eine Spielform, die sich im DSA-Regelbiotop besonders wohlfühlt.

Ein bewusst gewählter Konflikt ist eine Spaßquelle

Ein Charakterplot ist ein bewusst gewählter Konflikt, der von dem Spieler bei der Charaktererschaffung bereits angelegt wird. Im Beispiel war das eine Hexe, die ihre magischen Fähigkeiten vor den anderen Charakteren geheimhalten “musste”. Einer der anderen Charaktere würde – und das ist von der Spielerin der Hexe bewusst ausgenutzt worden – bedingt durch Settingvorgaben nämlich ein Problem damit haben, mit einer Hexe zu reisen. Klassischer ist das in der Fantasy mit dem ach so strengen Paladin und dem wohlmeinenden, aber diebischen Schurken angelegt. Aber auch die andauernde Popularität des ewigen Antagonismus zwischen Elf und Zwerg ist sicherlich ein Ausfluss dieses Spiels.

Indem der Spieler bei der Wahl seines Charakters einen eigenen, ihm interessant erscheindenen Konflikt anlegt, löst er sich von seiner Abhängigkeit von der durch den SL präsentierten Handlung und kann selber Akzente setzen. In extremo gedacht kann sich der Spieler seinen Spaß aus dem Konflikt mit den Mitspielern holen – die vom SL präsentierte Handlung und Spielwelt wird zum bloßen Kulisse für die Interaktion zwischen den Charakteren am Tisch. Bestenfalls ist die Handlung des SL Motivator und Auslöser für den Spielerplot: Muss unsere Beispielshexe also in höchster Not im Kampf zaubern, so wird ihr Geheimnis Thema: Schafft sie es, die anderen Charaktere davon zu überzeugen, dass der Zauber ein Misserfolg des Gegners war? Wie reagieren die anderen auf ihre Erklärungsversuche? Misstraut man ihr? Wie geht sie damit um?

Solche Fragen können naturgemäß spannend sein und für viel Spielspaß sorgen, wenn sich die beiden beteiligten Spieler mit solchen Konflikten wohlfühlen und sie gerne ausspielen möchten. Jeder von uns dürfte diese Form des Spiels an seinem Tisch auch schon beobachtet haben, wie die zahlreichen Witzeleien über Zwerge und Elfen beweisen.

Der Charakterplot als Spaßbremse

Allerdings, und das unterscheidet den hier dargestellten Spielertyp vom Barbiespieler, kann diese Form des Spielspaßes erheblich zu Lasten der anderen Spieler gehen. Denn der Konflikt ist regelmäßig einer zwischen zwei Spielern, nicht zwischen Spieler und SL. Der SL hat also nicht sein übliches Instrumentarium zur Verfügung, um für eine gleichmäßige Verteilung der Spielzeit (Spotlight) am Tisch zu sorgen. Solange die am “Charakterplot” beteiligten Spieler diesen ausspielen, ist der Rest des Tisches zum Zuschauen verdammt. Das kann unterhaltsam sein, muss es aber nicht – ganz abhängig von dem schauspielerischen Talent der am Charakterplot beteiligten.

Besonders störend wird der Charakterplot immer dann, wenn er nicht nur zur Erzwingung von Spotlight dient, sondern sogar aktiv das Voranschreiten des eigentlichen Abenteuerplots verhindert. Nehmen wir wieder das Beispiel zur Hand, in dem Paladin und Schurke ihren Antagonismus zur Charakterplot erhoben haben und immer dann ausspielen, wenn sich dazu eine Gelegenheit bietet – etwa beim Planen der nächsten Schritte. Schon aufgrund ihrer entgegengesetzten Charakterkonzepte können sich die beiden nicht einigen können – ob die Gegner nun frontal angegangen werden müssen oder der Dieb sich anschleicht und hinterrücks
meuchelt – einer der beiden würde verlieren und dann von den Regeln bestraft werden, wenn er sich dem Verhalten des anderen anpassen muss. Eine Situation, in der also eine Auflösung ihres Konfliktes kaum vorstellbar ist: Folglich zieht sich jede Planungsphase wie Kaugummi in die Länge, während die beiden in endlosen Kreislauf immer wieder die gleichen Argumente austauschen (und dabei Spaß haben). Bis der SL endlich ein paar Ninjas durch das Fenster klettern lässt, um die Gruppe zur Handlung zu zwingen.

Ich habe ja die Vorstellung, dass vor allem Spieler zu diesem Verhalten neigen, die einen SL gewöhnt sind, der zum Railroading tendiert. Kann ich nämlich im Abenteuer nicht viel beeinflussen, so suche ich mir meinen steuerbaren Konflikt eben anderswo – aber diese These ist eine bloße, völlig unbelegte Behauptung.

Argumente pro und contra

Kommen wir aber der Fairness halber auf die Argumente für den Charakterplot zu sprechen.

  • Eines ist sicherlich die im Rollenspiel ja erwünschte Interaktion zwischen den Spielern. Kaum eine Gruppe will 100% Plot – die Beziehungen zwischen den Charakteren sind ein weiterer wichtiger Spielinhalt. Ein Charakterplot ist letztlich nichts anderes, als eine von einem Spieler bewusst gesetzte Beziehung.
  • Zwischen den Spielern macht soziale Interaktion in der Regel mehr Spaß als mit NSCs.
  • Der Begriff “Charakterplot” beschreibt ja eine Entwicklung des Charakters. Es ist ja auch denkbar, dass Paladin und Dieb irgendwann einsehen, dass der andere nicht völlig unrecht hat, arrangieren sich und werden Freunde.
  • Charakterplot ist – gut gemacht – mehr als nur ein Schurke, der die eigene Gruppe beklaut, Zwerge ./. Elfen, Paladin und Schurke. Charakterplot kann eben auch der zweifelnde Priester, die heimliche Verliebtheit, Caramon Majere zwanghafte Treue und sein Beschützerinstinkt gegenüber seinem Bruder Raistlin.

Die Schattenseiten hingegen:

  • Spotlighthogging: Oft führt ein Charakterplot zu überproportional viel Zeit im Fokus der Aufmerksamkeit am Spieltisch
  • Ausbremsen: Ständige und im Charakter angelegte Uneinigkeit führt zu zahllosen Diskussionen – vor allem beim gemeinsamen Planen
  • Kastrieren: Das Verstecken von Fähigkeiten (oder das Unterdrückenmüssen dieser) führt zu einer geringeren Effektivität der Gruppe – etwas was dem Gamisten den Spaß nimmt.
  • Wiederholung: Gerade bei den alten Klischees (Paladin./.Schurke, Zwerg./.Elf) ist eine Auflösung des Plots kaum denkbar – weder Zwerge, noch Elfen oder gar Paladine sind für ihre beweglichen Ansichten über andere Leute berühmt geworden.

Wie geht ein guter SL nun mit einem Charakterplot um?

Unterstellt, der Charakterplot fängt an, den SL oder einen der Spieler zu stören (oft erkennbar an gelangweilten Gesichtern oder empörten “Nicht schon wieder!”-Rufen), dann muss der SL wohl handeln. Zu früh darf das nicht passieren, um die Spaßquelle nicht ruinieren – zu spät nicht, um nicht Langeweile und festgefahrene Strukturen entstehen zu lassen.

Problem: Spotlighthogging

Schneiden! Orientiere dich an Filmen – lass den Konflikt entstehen, aber rechne nicht damit, dass es zu einer Lösung kommt. Schneide also zackig wieder aus der Szene raus, wenn der Konflikt für alle beteiligten Erkennbar wurde. Wie auch im Kampf – die anderen sind dann auch mal wieder dran!

Problem: Ausbremsen

Der Charakterplot zwischen Dieb und Paladin bremst also mal wieder die Planung aus. Was tun? Send in the Ninjas. Ein Angriff während der Planung löst alle Probleme? Nein, aber unterbricht den Konflikt und strukturiert ihn. Hier gilt es aber aufzupassen, dass die Ninjas nicht immer den gleichen der beiden Streithähne bevorzugen. Schwergerüstete Stadtwachen bevorzugen den Paladin, flinke Ninjas den Schurken.

Problem: Kastration von Fähigkeiten

Mir fällt hier keine Lösung ein. Wenn sich die Hexe zurückhält und nicht zaubert, weil das Verstecken ihrer Fähigkeiten zu ihrem Charakterplot gehört – dann wird sie aus Sicht eines Gamisten zum Dekoobjekt. Mehr Spotlight für die Kämpfer wird der Charakterplotspieler dann eben anderswo wieder ausgleichen – darauf ist schon Verlass.

Problem: Wiederholung

Wenn die Wiederholung anfängt aufzufallen (oder schon nervt), dann ist es die Aufgabe, den Plot weiterzubringen. Ich empfehle, dies offen anzusprechen und die Spieler zur Kooperation zu verpflichten, evtl. geht es aber auch ohne deren Einbindung auf der Metaebene. Der Konflikt muss also jetzt so gestaltet werden, dass er sich zuspitzt und gelöst werden muss. Der eitle Elf muss den Zwerg um eine Locke von dessen Bart bitten, um ein Problem zu lösen. Der Paladin kann ein großes Übel nur verhindern, wenn er durch den Schurken unterstützt wird, der Dämon wird den Priester vernichten, wenn die Hexe ihn nicht mit einem Zauber rettet. Mach eine ganze Spielsitzung draus und lass die Beiden das episch ausspielen – und es besteht Einigkeit am Tisch, dass sie ihren Konflikt nun auf ganz neue Beine stellen müssen. Kooperativer muss es als Ergebnis werden, darauf solltest du bestehen – schon zur Lösung der ersten drei genannten Probleme.

Nicht so gut geklappt…

Nicht am Spieltisch ausprobiert, aber im Gespräch durchdacht habe ich, den blockierenden Konflikt einfach durch Schneidetechnik zu umgehen. Und das geht so: Paladin und Schurke zicken mal wieder, es geht nicht weiter. Der SL springt über alle Wachen, Fallen etc hinweg und stellt die Gruppe vor dem bösen Endgegner auf – und gibt den Spielern der Streithähne auf, bis zum nächsten Mal zu erklären, wie sie sich geeinigt haben. Von der Charakterplot-Spielerin wurde dieses Vorgehen vehement abgelehnt – vermutlich zu Recht. Damit hätte ich ihr das Ziel des Charakterplotspielers weggenommen. Und damit meine ich nicht, dass Spotlight, dass ihr der Konflikt bringt – sondern die eigentlich erstrebte Katharsis, die Auflösung des Konfliktes, die natürlich ausgespielt werden soll. “Schließlich ist nur das Ausspielen mit den anderen Spielern echtes Rollenspiel”.

Ich freu mich über eure Erfahrungen mit dem Thema.

8 Gedanken zu „Charakterplot?

  1. Dein Positiv und Negativ kann ich durchaus nachvollziehen und teilweise auch unterschreiben. Ein Charakterplot ist eine wunderbare Möglichkeit für mich als Spieler zumindest etwas Einfluss auf das Spiel nehmen zu können (eben weil man selber Elemente mit einbringt). Schön finde ich, wenn sich aus einem Charakterplot etwas entwickelt, was zu einem Plot für die ganze Gruppe wird (ohne dass die sich dabei blöd vorkommen).

  2. Uah, ich krieg schon wieder das Jucken, wenn ich Charakterplot höre >jeder also solange, wie alle Spieler das ok finden.

  3. Öhm. Irgendwie wurde mein relativer langer Kommentar jetzt auf zwei unzusammenhängende Sätze zusammengekürzt.
    Fazit nochmal schnell: Charakterplot macht Spaß, solang er nicht dem Gruppenkonsens zuwiderläuft. Daher sollte er auf Spielerebene offenliegen und nicht nach und nach enthüllt werden.

  4. Solche Kabbeleien finde ich auf niedriger Intensität unterhaltsam. Was ich persönlich nicht mag ist, wenn ein Charakter dem anderen ultimativ seinen Willen aufzwängt und dies ggf. gewaltsam durchsetzt, und dann noch EP vom Spielleiter haben will, „weil das ja charaktergerechtes Rollenspiel ist“ (dazu zähle ich zum Beispiel auch den Dieb, der die eigene Gruppe beklaut – sowas von dämlich).
    Ich bin auch eher der Meinung, dass man solche Konflikte vorab auf Spielerebene bespricht und sich auf eine gemeinsame Linie einigt, damit auch der Rest der Gruppe noch Spaß am Spiel hat. Ich habe oft den Eindruck, dass solche Probleme viel zu lange auf der Charakterebene vor sich hin köcheln, bevor die Spieler mal über ihre Agenda reden.
    Die rollenspielerische Herausforderung beim Klassiker Paladin – Dieb ist doch, dass beide Argumente finden, wie sie den vermeintlichen „Bruch“ ihrer Gesinnung vor sich selber rechtfertigen können, nicht, wie sich der eine gegen den anderen behauptet. Wenn das nicht möglich ist, dann passt die Gruppenzusammensetzung einfach nicht … oder man spielt gerade Paranoia.

  5. In einem Spiel mit relativ starrem Plot finde ich solche Allüren eigentlich immer nur nervig, denn sie lenken beliebig stark vom eigentlichen Spielzweck ab.
    Ich persönlich baue ja lieber das Spiel um die Charaktere herum auf, so dass solche Konflikte automatisch zum Spielzweck werden – da machts dann auch wieder Sinn solche Dinge einzubauen.

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