Wie entwerfe ich ein Abenteuer für Dresden Files?

Ich weiß nicht was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin;
Ein Märchen aus alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.

– H. Heine

Im Folgenden beschreibe ich meine Vorüberlegungen zu einem Abenteuer, dass ich am 15 Januar geleitet (haben werde), denn natürlich konnte ich nicht veröffentlichen und erwarten, dass meine Spieler diesen Beitrag nicht zur Kenntnis nehmen. Das System ist FATE, konkret das Dresden Files Rollenspiel. Zu den Besonderheiten des Systems gehört, dass die Spieler sehr viel Einfluss auf die Spielwelt nehmen können. Und zwar nicht nur durch die Handlungen ihrer Figuren im Spiel, sondern auch durch (von den Regeln erlaubte und gewünschte) „Feststellungen“ die Realität beeinflussen können. Im einfachsten Fall kann der Spieler seine Figur im Spiel sagen lassen: „Um in das Gebäude zu gelangen, nehme ich das Gitter vom Lüftungsschacht ab und steige so ein.“ Und zwar, ohne dass der Lüftungsschacht bisher vom Spielleiter erwähnt worden wäre! Der Spielleiter hat allerdings ein Veto, um unlogische, nicht zum Genre passende oder langweilige „Feststellungen“ zu verhindern. Vermieden werden soll z.B., dass der finstere Schurke am Ende des Spielabends an einem von den Spielern „festgestellten“ Herzfehler verstirbt, statt einen spannenden Kampf zu liefern: Veto wegen „Langeweilig!“. Diese Mechanismen (die durch Würfelproben begrenzt werden) geben den Spielern viel Macht und Einfluss. Entsprechend schwer ist es für den SL, ein Abenteuer vorzubereiten.

Umgekehrt erwarte ich 2-3 Spieler, die klassisches Rollenspiel mit einem stark vom SL beeinflussten Plot schätzen. Für diese Spieler ist es ungewohnt, ihre (neue) Macht auch tatsächlich zu nutzen – oder, wie es einer ausdrückt: Was ich mir so spontan ausdenke, kommt mir nie cool genug vor. Ich muss also zwingend dafür sorgen, dass etwas passiert, auch wenn die Spieler die Geschichte nicht selbst vorantreiben, ohne aber zu wissen, in welchem Umfang sie sich einbringen werden. Wichtig ist mir, dass wenn die Spieler sich einbringen, dann an diesen Stellen auch mitzugehen und den Input vollständig zuzulassen.

Immerhin gibt es bereits einen Aufhänger für das Abenteuer. Ein Großteil der Runde hat bei mir auf dem FUNCON DFRPG gespielt, und zwar mein Berlin-Nazi-Abenteuer (es hat leider immer noch keinen coolen Namen im Stil von Jim Butcher. Vielleicht TOTE ZEIT?). Dabei hat eine Spielerin ihr Spotlight genutzt, um Dinge über ihre verschwundene Mutter erfahren (bzw. selbst zu bestimmen), die bis dahin von ihrem verwitweten Vater vor ihr geheim gehalten worden waren. Wir haben gelernt, dass ihre Mutter ein Warden war und irgendwann verschwunden ist. Es gibt im Keller des Elternhauses ein von der Spielerin herbeierzähltes Labor, dass der Vater nach dem Tod einfach verschlossen und nie wieder betreten hat. Zuletzt interessierte sich die Mutter für die Magie, die in der Emotion schlummert, die die Berliner Mauer in der zerrissenen Stadt erzeugt hat. Ob sie sie selber nutzen wollte oder nicht – das ging aus den Aufzeichnungen bisher nicht hervor. Weiter fanden die Spieler ein Rinnsal von Ecotoplasma, dass in einer Ecke der Decke des Labors austrat und die Wand „herunter tropft“, aber sich auflöst, bevor es den Boden erreicht. Als dieses Rinnsal gebannt wurde, waren Schmerzensschreie zu hören. Auch das Schwert der Mutter wurde gefunden und auch schon geborgen. Im Abenteuer soll es darum gehen, das Schicksal der Mutter zu erkunden.

Okay, warum ist die Mutter also verschwunden? (11d10)

Central Disputes
2×3 Property Crime: Petty Vandalism
2×5 Divorce: Property is in doubt
2×7 Gouvernment Regulation: Police Misconduct
Twists, Reveals and Complications
1 Evidence of offical misconduct
2 A frame job or evidence tampering
4 Addiction
6 Seemingly damning physical evidence
9 A martial infidelity angle

Die Ergebnisse des Wurfes stammen aus der Tabelle „Appendix: One Roll Legal Problems“ aus A Dirty World von Greg Stolze (das hab ich gerade neu gekauft und wollte die Tabelle benutzen).

Wichtig sind natürlich die Central Disputes. Petty Vandalism ist eine geringfügige Sachbeschädigung. Kann deshalb ein Warden komplett verschwunden sein? Nur wenn der Eigentümer der beschädigten Sache wirklich sehr sehr mächtig ist. Divorce: Property is in doubt – Scheidung: Wer bekommt was? Scheidung ist etwas sehr menschliches. Vielleicht wollte sich die Mutter von dem Vater scheiden lassen? Oder umgekehrt? Dagegen spricht, dass der Vater ganz offenbar voller Trauer war und nach dem Verschwinden seiner Frau nie wieder etwas mit einer Frau hatte. Oder spielt er das? Denkt seine Tochter das nur? Zu fies? Police Misconduct, Fehlverhalten der Polizei. Der Vater ist Polizist. Die Mutter ein Warden, also auch ein Polizist…

Gucken wir uns mal die Zusammenhänge an: Es gibt Beweise auf Fehlverhalten, Fehlverhalten der Polizei, Veränderungen an den Beweismitteln, Beweismittel, die sehr zwingend scheinen – das muss doch zusammenhängen. Also warum sollte nicht der Vater, der ja ein/der Polizist für das Übernatürliche in Berlin war, mittels gefälschter, sehr überzeugender Beweismittel des Fehlverhaltens verdächtigt werden, um ihn loszuwerden? Dazu die drohende Scheidung mit der unklaren Eigentumszuordnung: Lass es das Haus sein, das übernatürlich wichtig ist. Der Strom von Ektoplasma ist doch wohl ein Indiz für ein Portal ins Nevernever! Jemand wollte an das Haus…, wegen des Portals! Untreue und Abhängigkeit – das klingt doch nach Weißem Vampir als Bösewicht. Also – weil sonst immer der Mann der Untreue ist – soll die Mutter einem weißen Vampir verfallen sein. Der wollte an das Haus mit dem Portal ran. Wenn es ihm gelingt, den Ehemann seines Opfers ordentlich anzuschwärzen (Straftat: „Als Polizist Beweise fälschen“), so kann sein Opfer (die Mutter) eine Scheidung verlangen und das Haus behalten – damals galt noch das Verschuldensprinzip im Scheidungsrecht. Die Mutter hat den Plan verhindern können, ist dabei aber im Portal verschwunden – zusammen mit dem weißen Vampir.

Gut, soweit gefällt es mir. Das Ektoplasma, dass schreit, wenn man es bannt… es ist der Ausfluss eines Zaubers, mit dem sie sich und den Vampir dort drüben gefangen hält / vor den Bedrohungen schützt. Okay, aber was wollte der Vampir von dem Tor? Wohin führt es? Heftiges Nachdenken und ein Brainstormingversuch im Tanelorn-Chat halfen nicht. Allerdings hatte ich an anderer Stelle Nixen verwendet. Bei weißen Vampiren denkt man ja zunächst an Lust… und bei Lust passen doch Nixen. Nixe(n), die junge Menschen unter Wasser ziehen und dort einen Lusttod sterben lassen. Okay, der Vampir kann also dort die Energien aufnehmen, die von vielen 1000 Opfern der Nixen bei ihrem Lusttod hinterlassen wurden. Wenn man durch das Portal tritt, erreicht man eine feuchte Höhle, in der sich Nixen tummeln (Nixen, nicht Meerjungfrauen – also keine Fischanteile). Auf der Höhle liegt ein starker Glamour, der die Höhle wie ein Sexparadies wirken lässt. In der Mitte des mit Seerosen bedeckten Teichs liegt im flachen Wasser ein riesiger Goldschatz. Kann man den Glamour durchbrechen, sieht man die knochige Realität – die Leichenteile zahlloser Opfer. In einer Nebenhöhle sind Vampir und Edeltraut Manske (sen., die Mutter der PC) gefangen.

Das Portal befindet sich im Schlafzimmer des Ehepaar Manske und kann durch einen Compell des Aspektes „Lustschmerz“ erkannt werden.

Was war also damals passiert? Wilhelm Manske, damals aufstrebender junger Kriminalkommisar, werden Unterlagen zugespielt aus denen sich ergibt, dass ein wichtiger Mitarbeiter des Berliner Senats (Fritz Grothe) ein Stasi-Spion ist. Manske ermittelt – gegen die eigenen Leute, denn die decken den populären Grothe. Manske zwingt die widerwillige Staatsanwaltschaft dazu, Grothe anzuklagen, indem er an die Presse geht. Für die Staatsanwaltschaft stellen sich alle Beweise als gefälscht heraus, die Zeuge sagen auf einmal ganz anders aus. Manske steht vor dem Ende – Disziplinarverfahren, dauerhafte Beurlaubung, niemand redet mehr mit ihm. Und Grothe wird auch noch Innensenator!

Und ab diesem Moment steigt auch der Stern von Manske wieder, der von Grothe nach Kräften gefördert wird und dann die Abteilung „Besondere Verwendung“ übernimmt, die sich um übernatürliches kümmert.

Wie kam es: Hermann Raith, der Vampir des Weißen Hofes, ist es mittels einer Intrige gelungen, Edeltraut sen. von sich abhängig zu machen – abhängig von den Gefühlen, die Raith bei ihr auslösen kann. Er plante die Ehe der Manskes zu zerstören, das Haus mit dem Portal sollte unbedingt seine versklavte Edeltraut erhalten – und damit ihm zur Verfügung stehen. Mit dem Reservoir an Emotionen hinter dem Portal gedachte er seine Stellung im Clan zu verbessern.

Edeltraut Manske hingegen wollte diesen Plan stören. Wegen ihrer Gefühle für den Vampir fühlt sie sich schuldig. Deshalb ist sie bereit sich selbst zu opfern, konnte sie doch nicht einfach zusehen, wie ihr Mann (und der Vater ihres Kindes) neben ihr zu Grunde gehen würde. Sie hinterlässt eine Botschaft an ihren Ausbilder (Klaus der Spielzeugmacher) mit der Bitte, für ihren Mann und ihre Tochter zu sorgen – sie werde nicht wiederkommen. Klaus bringt Grothe dazu, eine Polizeieinheit zu gründen, die gegen das Übernatürliche angeht – und Vater Manske zu dem Chef dieser Einheit zu machen.

Update: Xemides bloggt ein Diary

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8 Gedanken zu „Wie entwerfe ich ein Abenteuer für Dresden Files?

  1. Hallo Karsten,

    mich würde vor allem Deine Sicht als SL interessieren. In meiner Runde haben wir jetzt auch mit DFRPG angefangen, nachdem wir zuletzt die nWOD gespielt haben.
    Meine Spieler, alle samt alte Hasen (jeder spielt seit ca. 20 Jahren Rollenspiele), tun sich noch ein wenig schwer mit der neuen „Macht“ in die Geschichte einzugreifen, aber langsam kommt es.

    • Das greife ich mal als Thema für einen längeren Post auf, danke schön. Aber die Kurzfassung schon hier: Es ist weniger Arbeit. Je mehr die Leute am Tisch mitbestimmen, desto einfacher ist es – und desto mehr Spaß macht es. Und die meisten Spieler brauchen 5+ Sitzungen, bis sie das Konzept verinnerlicht haben, gib deinen Spielern also Zeit – und berichte mal, wie es so läuft!

      • Wir haben bisher erst 2x DFRPG gespielt. Diese beiden Male haben aber sehr viel Spaß gemacht.
        Als SL habe ich die Aspekte der SC etwas häufig gereizt, aber es hat den Spieler recht gut veranschaulicht was man damit alles anstellen kann.
        Zum Setting: Wir haben uns nach einigen Überlegungen für Wien entschieden. Wien ist alt, geschichtsträchtig, voller Legenden, skurillen Orten und vielem mehr. (Wir selbst kommen aus Aachen) Die Gruppe setzt sich aus einem Wizard, einem Ectomancer, einem Emissary, einem „Champion of God“ und einem „Lebenden Toten“ zusammen.
        Wenn wir nächsten Sa. wieder gespielt haben, werde ich Dir berichten, wie es gelaufen ist.

        • Wien ist cool. Dazu haben wir jetzt auch eine Stadterschaffung durchgeführt – leider ist unklar, ob wir darin auch spielen werden. Wir sollten unbedingt mal Notizen vergleichen!

          Wenn du gespielt hast, könntest du mir den Spielbericht zumailen? Evtl. passt der ja auch zu http://www.faterpg.de!

          • Wir können gerne unsere Notizen vergleichen. Würde mich sehr interessieren, was bei Deiner Runde an Ideen zusammen gekommen ist. Den Spielbericht schicke ich Dir ebenfalls gerne, würde aber gerne warten, bis wir nächsten Sa. das Abenteuer abgeschlossen haben.
            Nach dem Abenteuer werden wir uns dann noch mal der Stadt zuwenden und ein wenig nachkarten.

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