Warum KISS nicht bedeutet, das die Abenteuer simpel sein müssen.

Was? Kiss? Die komischen Rockmusiker? Was haben die denn mit Abenteuern zu tun?
Kiss steht für Keep it straight and simple oder halte es gradlinig und einfach.

Ich denke, das sich viele SL zu viel Mühe mit der Vorbereitung von Abenteuern machen, die Welt und den Plot in einem großen Bild zusammenfassen und sich dann wundern, das die Spieler ihr schönes Gesamtwerk nicht so schnell erfassen, wie sie es sollten. Schade eigentlich, aber die in Tagen oder Wochen erstellte Welt ist halt meistens zu komplex um auf die Schnelle erfasst zu werden.

Meiner Erfahrung nach haben gerade sehr aktiven und gut vorbereitende SLs immer wieder das Problem, das die Spieler der Komplexität des Plot nicht folgen können. Dann höre ich immer wieder die Aussage: „Ich hänge mich rein und die Gruppe weiß es nicht zu würdigen.“ Oder „die verstehen die einfachsten Sachen nicht!“

Wenn ich mich mit dem SL dann länger darüber unterhalte, zeigt sich ein immer wiederkehrendes Muster. Der SL will eine Geschichten erzählen und damit ein Erlebnis für die Gruppe erschaffen. Er befasst sich mit dem Hintergrund und denkt sich einen tollen Plot aus, den die Gruppe erleben soll. Der eine SL versucht es Flags, der Andere mit Red Herings oder ähnlichen. Manch ein SL setzt auf die Instrumente Schneiden oder aggressives Erzählen und springt zu relevanten Punkten.

Alles gute Hilfsmittel für den modernen SL.

Zusätzlich werden noch die „guten alten“ Hilfsmittel Illusionismus und Railroading eingesetzt. Meine Erfahrung zeigt, dass die wenigsten SL, die ich treffe wirklich mit vielen Hilfsmitteln arbeiten, auch wenn sie es glauben (eine gute und allgemein gültige Definition der Stichworte für den Rollenspielbereich wäre eine wirklich gute Sache, ich habe oft das Gefühl Rollenspieler benutzen Worte wie Powergamer, Bassplaying oder Players Empowerment und haben keine Ahnung wer das mal wie definiert hat). Da haben sie in der Regel mal etwas im Internet gelesen und interpretieren das so, dass es zu ihrer Art zu leiten passt. Um so größer ist oft die Enttäuschung wenn die Spieler nicht wie gewünscht reagieren.

Zurück zu des Pudels Kern: Bei Unterhaltungen mit Spielern stellt sich oft heraus, das ihnen gerade die einfachen Abenteuer des SL am meisten Spaß gemacht haben. Viele Leite vertreten die Ansicht, das Sachen wie die WoW auch so erfolgreich ist, weil man leicht Erfolge erzielen kann und sich beständig weiterentwickelt.

Das wird mir seit einiger Zeit immer deutlicher, denn ich sehe auch in meiner Gruppe eine gewisse Tendenz, das sie die einfach gestrickten Abenteuer (Kiss) toller fanden. Auch wenn sie durchaus einen langfristig komplexen Plot mögen.

Ein klarer Auftrag, ein bisschen Eigeninitiative und ein paar Würfe sind also laut diversen Erfahrungen oft besser für den Spielspaß, als eine tolle R-Map mit hochkomplexen Beziehungen und ein mysteriöser Auftrag mit vielen Fallstricken, die es zu erkennen und zu umschiffen gilt.

Das mag zwar für viele SL, die stolz auf ihre Geschichten und die Qualität der Vorbereitung sind weh tun, aber ich denke wirklich, dass es die Wahrheit ist.

Ich schreibe in Foren oft, dass der SL, dem die Geschichte zu wichtig ist, lieber ein Buch schreiben sollen, statt seine Gruppe mit einer persönlichen Vorstellung einer guten Geschichte zu terrorisieren.

Die Stärke des Rollenspiels liegt in der Interaktivität zwischen dem SL und seinen Spielern. Der SL kann besser als jede Maschine auf die Wünsche und Anregungen seiner Spieler reagieren und diese in die Tat umsetzen. Er kennt die Spieler oft und weiß von Anfang an, was für Wünsche und Vorlieben der Teilnehmer hat. Natürlich hat jeder SL auch eine Vorstellung davon, was er will. Doch ein guter SL setzt seine Vorstellungen nach meiner Ansicht mit seinen Spielern um und nicht gegen sie.
Wenn man den Plot also so einfach hält, das die Spieler ihn verstehen, besteht wenig Gefahr, dass auf einer der beiden Seiten Frust aufkommt.

Trotzdem, fast alle Spieler die ich kenne mögen gute Geschichten und schöne Hintergründe die sich entwickeln. Aber sie mögen es halt einfach nicht, wenn sie ständig bis an die Grenzen gehen müssen um die Vielfalt zu erleben. Es soll Spaß machen und nicht in Leistungsrollenspiel ausarten. Es geht ihnen eher punktuell um die aktuelle Geschichte, die ihre Charaktere erleben und nicht um das Gesamtbild, das sie sich trotzdem farbig und aufregend wünschen. Der SL hat also die Aufgabe, die Situation für die Spieler leicht erfassbar zu generieren und kann die Komplexität im Laufe des oder der Abenteuer dann langsam steigern, ohne seine Spieler zu überfordern (ich nenne das bei mir das Mosaik-System) .

Meine Meinung ist, dass die Spieler besser langsam in die Welt und den Plot hineinwachsen und der SL sie nicht mit einem großen Bäng in super komplexe Situationen wirft. Der gemeinsame Vorstellungsraum und die Exploration sollten vorsichtig voranschreiten. So kann sich trotz des Kiss Prinzip auf Dauer auch etwas komplexes entwickeln, ohne das man die Gruppe überfordert.

Man setzt also das Gesamtbild aus lauter kleinen Mosaiksteinen (Informationen) zusammen, die den Spielern Stück für Stück präsentiert werden, statt ein 4 mal 4 Meter Bild zu enthüllen, das man über Wochen erarbeitet hat und die Spieler verständlicher Weise nicht sofort erfassen können.

So bleibt es Kiss und wird trotzdem zu einer abwechslungsreichen und farbigen Geschichte.

4 Gedanken zu „Warum KISS nicht bedeutet, das die Abenteuer simpel sein müssen.

  1. Heißt es nicht im Original „Keep it simple, stupid“? ;)

    Trotzdem: Volle Zustimmung (entspricht auch meiner Erfahrung). Ich denke es ist als SL sehr leicht zu unterschätzen, wie komplex ein Abenteuer für die Spieler ist. 5 unterschiedliche NSCs mit verschiedenen Motivationen, dazu die Motivationen der Spieler und die Handlung, zusammen mit all den Möglichkeiten, was im Hintergrund passieren könnte (die SL kennt die Handlung schon halbwegs, die Spieler müssen jeden Handlungshergang bedenken), ist schon eine ganze Menge an Inhalt.

    Selbst die meisten Bücher bleiben bei 3 bis 4 wichtigen Charakteren – v.a. fast alle verbreiteten. Und selbst die, die mit vielen Charakteren spielen, zeigen von denen immer nur einen kleinen teil gleichzeitig.

    Als SL sind wir das Sichtfenster der Spieler in die Welt, und es ist unsere Aufgabe, dabei das zu zeigen, was hilft, einen unterhaltsamen Abend zu erleben.

    Wenn irgendwas komplexes eigentlich im Hintergrund ist, können wir uns die Fragen stellen „ist das aktuell wirklich nötig?“ und „können wir das nicht in einemn anderen Abenteuer zum Fokus machen, statt es hier nur anzureißen und unverstanden zu lassen?“

    Das heißt aber nicht, dass wir keine Mysterien aufbauen dürfen, sondern nur, dass sie nicht notwendig zum Verständnis sein dürfen, und dass sie aufgelöst werden müssen – am besten dann in einem Abenteuer, in dem es darum geht, dass die SCs das Mysterium aufösen – mit einem Fokus auf den Handlungen der SCs.

    Ich denke, es ist meist einfach genug, solange die Spieler in jedem Abenteuer aus dem Stehgreif die Fragen beantworten können:

    * Was ist unsere Aufgabe?
    * Welche Wege stehen uns dafür offen?
    * Wann haben wir die Aufgabe erfüllt?

    (die Wege können z.B. auch sein „Ich frag‘ mal meine Connections“, solange es den Spielern klar ist, dass das mögliche Wege sind)

  2. Ich denke, dass die Spieler ihre Aufgabe selber definieren sollten und der SL ihnen für die Lösung des Problemes freie hand lassen sollte.

    Der schönste Plan des SL strirbt in der Regel beim Kontakt mit den Spielern.

    Trotzdem gefällt mit der Denkansatz, Drak.

    Die langsam wachsende Kompexität des Hintergrundes stellt kein Problem dar, meine Spieler hatten bei der letzten Kampagne knapp 30 Major SLC und 4 Fraktionen im Blick und wussten um die komplexen Beziehungen untereinander. Jeder der in der Runde den Gastspieler gemacht hätte, wäre durchgedreht.

    Die R-Map ist ein Monster.

  3. Eine R-Map zu erstellen kann auch für die Gruppe wichtig sein, um die Zusammenhänge der Kampagne besser zu verstehen. Allerdings setze ich halt eher auf einen langsamen Aufbau der Infos, dann kann ich mir das sparen.

    In Western City oder bei PTA entwickle ich aber oft die R-Map zusammen mit den Spielern.

    Das Thema mit der R-Map habe ich mal im Tanelorn genauer behandelt:

    https://www.tanelorn.net/index.php/topic,50272.msg980583.html#msg980583

    Ich hoffe einfach mal du glaubst mir dann, das ich halbwegs weiß, wie man mit R-Maps arbeitet.

  4. Nun ja, eine R-Map dient ja vornehmlich dem SL, um in einer Kampagne oder einem längeren Abenteuer die jeweiligen Verknüpfungen und Beziehungen besser steuern und ableiten zu können – sie muß für den Spieler im direkten Spiel keine zusätzliche Komplexität bedeuten, daß Abenteuer ansich kann immer noch straight und simple sein. Für eine plausible und immersive Darstellung einer Welt auf lange Sicht ist die R-Map ein nützliches Tool.
    Nur so als Anmerkung.

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